Schluckprobleme und Schlucktherapie

Wenn der Bissen im Hals stecken bleibt oder das Essen nicht mehr schmeckt...

Cordula Winterholler, Linguistin (M. A.) und Logopädin, Bamberg

Essen und Trinken gehören zum alltäglichen Leben, sie dienen uns nicht nur zum Lebenserhalt, sie bereiten uns Freude und Genuss. Wir müssen uns keine Gedanken darum machen, wie das Schlucken funktioniert. Es geschieht so automatisch und selbstverständlich wie das Atmen oder Sprechen. Umso schlimmer ist es, wenn das Schlucken nicht mehr so einfach wie gewohnt funktioniert.

Sie sind vielleicht verunsichert, weil das Essen von fester Nahrung gut funktioniert, aber das Trinken von Flüssigkeit nicht. Oder dass das Joghurt so einfach „rutscht“, aber das Brot „hängen bleibt“. Schlucken ist ein komplizierter Vorgang.
 

Essen und Trinken – so funktioniert das Schlucken

Mund und Rachenraum sind für unterschiedliche Funktionen verantwortlich: Atmen, Sprechen und Schlucken. In Sekundenschnelle kann von einer Funktion auf die andere umgeschaltet werden. Im Wachzustand schlucken wir ungefähr 1-mal pro Minute. Bei Mahlzeiten ist die Häufigkeit des Schluckens abhängig von der Beschaffenheit der Nahrung und den individuellen Essgewohnheiten. Im Tiefschlaf lässt die Speichelproduktion nach und somit auch die Schluckfrequenz. Der „normale“ Schluckvorgang besteht aus einer Folge von exakt aufeinander abgestimmten Mechanismen. Diese bewirken, dass Speichel, Nahrung und Flüssigkeit vom Mund in den Magen befördert werden. Dieser komplexe Vorgang wird über ca. 50 Muskelpaare und 6 Hirnnerven realisiert. Die physiologischen Mechanismen passen sich in fein abgestimmter Koordination dem jeweiligen Schluckgut an. So benötigen wir z. B. für das Essen eines Schweinebratens mehr Muskelkraft, Zeit zum Kauen als für das Trinken von Limonade. Bei Flüssigkeiten ist eine gute und schnelle Koordination der Muskeln im Mund- und Rachenbereich nötig, damit die Flüssigkeit in die „richtige“ Röhre gelangt, nämlich in die Speiseröhre.

Der Vorgang des Schluckens ist kein Einzelvorgang, sondern wird in 5 Phasen unterteilt.

  1. „Das Auge isst mit“...
    Die Nahrung muss zunächst erfasst werden, was uns über das Sehen und Riechen möglich ist. Im Idealfall läuft uns dabei schon das Wasser im Mund zusammen, die Speichelproduktion wird angeregt. Wir stellen uns innerlich auf das Essen ein und richten auch die äußeren Begebenheiten danach aus. Unsere Körperhaltung ändert sich, wir sind aufgerichtet, unsere Aufmerksamkeit gilt dem Essen. Wird die Hand zum Mund geführt, wird die Kieferöffnung schon vorbereitet – das Essen kann in den Mund kommen. In dieser Phase werden entscheidende Voreinstellungen getroffen, die den Schluckvorgang später positiv oder auch negativ beeinflussen.
     
  2. „Gut gekaut, ist halb verdaut” – die Kauphase
    In dieser Phase geht es um die Zerkleinerung der Nahrung. Die Dauer dieser Phase ist individuell verschieden und abhängig von den persönlichen Essgewohnheiten und der Nahrungskonsistenz. Um die Nahrung im Mund zu behalten, sind die Lippen geschlossen. Die Zunge bewegt die Nahrung im Mundinnenraum, die Wangen besitzen abwechselnd eine gewisse Spannung, damit die Nahrung nicht „abrutscht”. Die Nahrung wird zerkleinert und mit Speichel durchmischt. Das Gaumensegel ist gesenkt, damit die Nahrung nicht vorzeitig in den Rachenraum abgleitet. Am Ende dieser Phase wird der Speisebrei zu einem Bolus geformt und in der Zungenschüssel platziert.
     
  3. „Mit vollem Munde spricht man nicht“ –  die Transportphase
    Nun muss der Bolus Richtung Rachen befördert werden. Hierzu legt sich die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähne und die Zunge transportiert mit Hilfe von Wellenbewegungen die Nahrung nach hinten. Die Phase dauert ca. eine Sekunde und endet mit der Schluckreflexauslösung. Noch könnten wir die Nahrung willentlich ausspucken, doch wenn die vorderen Gaumenbögen passiert wurden, setzt sich eine Reflexkette in Gang.
     
  4. „Nichts geht mehr...” – die Pharyngeale Phase (Rachenphase)
    Die Schluckreflexauslösung leitet diese Phase ein. Der Bolus kommt in den Rachenraum. Nun muss der Nasenraum verschlossen werden, dazu hebt sich das Gaumensegel. Wir können jetzt nichts mehr willentlich steuern. Wichtig in dieser Phase ist, die Atemwege zu schützen. Deshalb stoppt die Atmung kurz und schützt so die Atemwege vor Eindringen der Nahrung. Dazu senkt sich der Kehldeckel, die Stimmlippen sind geschlossen und noch andere Hilfsmuskeln verschließen die Atemwege. Nun ist auch Platz für die Nahrung, damit sie den Weg in die Speiseröhre findet. Diese Phase dauert weniger als eine Sekunde.
     
  5. „Hoffentlich stößt nichts sauer auf” – Ösophageale Phase (Speiseröhrenphase)
    Der Bolus trifft in der Speiseröhre ein. Mit Hilfe einer peristaltischen Kontraktionswelle wird die Nahrung durch die Speiseröhre zum Magen befördert. Dieser primären Welle folgt eine Reinigungswelle, die die zurückgebliebenen Nahrungsreste abtransportiert. Diese Phase dauert 8 bis 20 Sekunden.
     

Ursachen von Schluckstörungen

Schluckstörungen kommen bei einer Vielzahl von Erkrankungen vor. Sie können als isolierte Symptomatik oder kombiniert mit anderen Funktionsbeeinträchtigungen auftreten. Schluckstörungen können akut auftreten oder sich schleichend entwickeln.

Die Hauptursachen sind:

  • neurogene Schluckstörungen im Rahmen von z. B. Schädelhirntraumata, Schlaganfall, Morbus Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose, Chorea Huntington, Multiple Sklerose, Myasthenia gravis, Polymyositis, mitochondriale Myopathien, okulopharyngeale Muskeldystrophie, Lambert-Eaton-Syndrom, Dystrophia myotonica Curschmann-Steinert-Batten, spinobulbäre Muskelatrophie Typ Kennedy und andere.
  • Strukturelle Veränderungen der ausführenden Endorgane und benachbarter Bereiche, z. B. nach chirurgischer, radiologischer oder chemotherapeutischer Tumorbehandlung.
  • medikamentöse Ursachen, z. B. Nebenwirkungen von Psychopharmaka.
     

Erste Anzeichen von Schluckstörungen

Das heftige und häufige Verschlucken ist mit Sicherheit das auffälligste Anzeichen, dass das Schlucken Probleme bereitet. Solange der Hustenstoß kräftig ist und das verschluckte Nahrungsgut hochgehustet werden kann, ist dies keine gefährliche Situation, aber eine unangenehme. Lässt die Hustenkraft allerdings nach, wird es zunehmend schwieriger, die Atemwege „sauber“ zu halten. Schwierigkeiten zeigen sich aber auch schon, wenn die Nahrung nicht mehr ausreichend zerkleinert werden kann oder die Kaukraft für eine ganze Mahlzeit nicht ausreicht. Auch Probleme, die Nahrung aus dem Mund in den Rachen zu befördern, können das Essen und Trinken sehr erschweren. Kommt Nahrung oder Flüssigkeit aus der Nase, so ist auch hier Vorsicht geboten.

Ein „Kloß“ oder Fremdkörpergefühl im Halsbereich zeigt an, dass die Nahrung noch nicht vollständig abgeschluckt wurde. Klingt die Stimme nach dem Schlucken belegt oder brodelig, so kann das bedeuten, dass das Schluckgut auf den Stimmlippen liegt. Auch dies ist ein Anzeichen für einen falschen Weg der Nahrung. Kommt die Nahrung unverdaut wieder zurück und muss hochgewürgt werden, ist sie vor dem Eintritt in die Speiseröhre gestoppt worden. Ein saurer Rückfluss der Nahrung, der sogenannte Reflux, zeigt, dass die Speiseröhre nicht richtig funktioniert. All diese unterschiedlichen Arten von Schluckproblemen können, gerade wenn sie gehäuft auftreten, Anzeichen einer ernstzunehmenden Schluckstörung sein. Eine umfassende Diagnostik sollte dann schnellstmöglich in die Wege geleitet werden.
 

Erste Anzeichen einer beginnenden Schluckstörung

Die ersten Anzeichen einer beginnenden Schluckproblematik sind ganz unterschiedlich:

  • Gewichtsverlust: meistens gekoppelt mit einer großen Anstrengung beim Essen; auch im Zusammenhang mit einer Angst vor dem Verschlucken, weil das Abhusten nicht gelingt und die Atemnot sehr bedrohlich ist.
  • Mahlzeit dauert lange und ist mühsam: die Zunge verliert langsam an Kraft und kann das Essen im Mund nicht mehr gut hin und her transportieren; die Kaumuskulatur ermüdet.
  • Essen, Trinken kommt durch die Nase: Das Gaumensegel schließt nicht mehr richtig, ist kraftlos.
  • Das Essen „geht nicht mehr aus dem Mund“, bleibt in den Wangentaschen hängen: die Zunge schafft den Transport nicht mehr, auch die Wangenmuskulatur ermüdet.
  • Die Stimme klingt belegt oder brodelig: Speichel, Essen oder Flüssigkeit liegen auf den Stimmlippen, da der muskuläre Ablauf gestört ist und die entsprechenden Schutzmechanismen nicht oder zu spät einsetzen.

Tipp

Wenn sich solche Anzeichen bemerkbar machen, sollte dies mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Schluckstörung zu diagnostizieren. Welche Möglichkeit speziell für Sie in Frage kommt, entscheidet der Arzt je nach Fragestellung.

Welche diagnostischen Möglichkeiten stehen zur Verfügung?

Die endoskopische Untersuchung (FEES)

Die Untersuchung wird meistens von einem Phoniater, Neurologen oder ein Logopäden (in der Klinik) durchgeführt. Hierbei wird ein kleiner Schlauch durch ein Nasenloch bis in den Rachen-/ Halsraum geführt. Am Ende des Schlauches befindet sich eine kleine Kamera, mit der man alle wichtigen anatomischen Strukturen einsehen kann. Sie bekommen mit Lebensmittelfarbe angefärbtes Wasser zu trinken. Anhand der Kamera kann der Weg der Flüssigkeit verfolgt werden und man kann erkennen, an welcher Stelle es zu Schwierigkeiten kommt. Danach erfolgt eine Schluckkontrolle mit Götterspeise, anschließend eventuell noch mit Keks.

Diese Untersuchung ist nicht schmerzhaft, vielleicht drückt zu Beginn der Schlauch ein bisschen und macht ein ungewohntes Gefühl. Die endoskopische Untersuchung zeigt sehr gut, wo die Probleme beim Schlucken liegen, sie gibt auch die Möglichkeit, die Nahrung sicher für Sie einzustellen und die Therapieziele für eine Schlucktherapie zu formulieren.

Die radiologische Untersuchung

Diese Untersuchung wird von einem Radiologen durchgeführt. Sie bekommen Flüssigkeit, Brei oder festere Kost zu trinken bzw. zu essen, die mit Kontrastmittel angereichert sind. Während des Trinkens / Essens wird dann ein Röntgenfilm gemacht. Auf diesem Film sieht man den ganzen Schluckablauf sehr deutlich, auch lässt sich gut abschätzen, wie viel von dem Trinken / Essen in die Lunge kommt. Wie bei der endoskopischen Untersuchung lässt sich anhand der Bilder eine Schlucktherapie planen, die Kost einstellen oder die Entscheidung für das Legen einer PEG diskutieren.

Die logopädische Schluckuntersuchung

Schluckuntersuchung

Der Logopäde verschafft sich erst einmal ein Bild der einzelnen Funktionen im Kopf / Hals / Gesichts- und Mundbereich. Außerdem wird gezielt nach den Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und des Speichelschluckens gefragt. Er beobachtet detailliert das Essen und Trinken und stellt einen Behandlungs- und Kostplan auf.

Wie kann mich eine logopädische Therapie unterstützen?

Die Therapieinhalte sind individuell verschieden und bedürfen einer exakten Anpassung am jeweiligen Krankheitsstadium. Im Verlauf ändern sich die Therapieziele und die Therapieangebote.

Die Kosteinstellung: Anhand der Untersuchungsergebnisse wird gemeinsam beraten, welche Nahrungsmittel geeignet sind. Auch wird überprüft, ob die Flüssigkeitsbilanz noch stimmt. Das Andicken von Flüssigkeit kann hilfreich sein. Spezielle Hilfsmittel können das Essen und Trinken noch unterstützen.

Die Übungen: Übungen in der Schlucktherapie dürfen nie ermüden! Sie sollen das Schlucken erleichtern. Kraftübungen haben in der Therapie mit ALS Patienten nichts zu suchen. Wenn Sie nach einer Schlucktherapie erschöpft sind, so besprechen Sie das mit Ihrem Therapeuten.

Haltungsänderungen: Manchmal kann schon eine kleine Änderung der Kopfhaltung, eine aufrechte Schrägstellung im Liegen das Schlucken erleichtern. Häufig finden Sie das als Betroffener selbst heraus, wann und wie Ihnen das Essen und Trinken besser gelingt. Für den Therapeuten sind das wichtige Informationen, um die Therapie noch effektiver zu gestalten.

Atemübungen: Dies ist schon in der Physiotherapie ein wichtiger Schwerpunkt, der sich aber in der Schlucktherapie wiederfindet und sich im idealen Fall auch ergänzt. An der Atmung zu arbeiten hat das Ziel, den Hustenstoß noch so lange wie möglich kräftig zu halten.

Tipps für den Alltag

Nasenkerbenbecher

z. B. Der Nasenkerbenbecher
Der Nasenkerbenbecher hat einen Ausschnitt, damit die Nase hereinpasst. Das hat den Vorteil, dass der Kopf beim Trinken unten bleiben kann und man schluckweise abtrinken kann. Ein Glas mit einem großen Durchmesser hat einen ähnlichen Effekt. 

Andicken von Flüssigkeit

z. B. Das Andicken von Flüssigkeit
Um die Flüssigkeitsbilanz zu sichern und wenn die breiige Kost noch gut zu schlucken geht, können Sie sich ihre Lieblingssäfte so dick wie einen Kompott andicken. Den kann man löffeln, er zählt aber trotzdem zur Flüssigkeitsbilanz. Andickungsmittel sind auch als Fertigprodukte erhältlich.

z. B. Der Wärmeteller
Wenn die Mahlzeiten länger dauern, kühlt das Essen aus. Damit wird es häufig auch unansehnlich und es schmeckt auch nicht mehr so gut. Ein Wärmeteller hält die Mahlzeit bis zum Ende gut warm.

Pürierte Kost anrichten

z. B. Das Auge isst mit – auch pürierte Kost kann gut aussehen
Wenn das Essen nur noch aus Breiklecksen besteht, mag man gar nicht mehr gerne essen. Auch hier ist es wichtig, die Beilagen getrennt auf den Teller zu tun. Auch ist es wichtig, püriertes Essen etwas anzudicken, so verhindert man, dass Flüssigkeit austritt, die ja eventuell auch wieder gefährlich sein kann. Auch gibt es Förmchen, die man mit pürierter Kost füllen kann, sodass man auf dem Teller wieder erkennt, was das Fleisch, Gemüse, etc. sein soll.

Weiterführende Informationen

  • Borasio, Hund-Wissner, Husemeyer (Hrsg.), Ernährung bei Schluckstörungen – Eine Sammlung von Rezepten, die das Schlucken erleichtern. Verlag W. Kohlhammer; Stuttgart 2011, 8. überarbeitete u. erweiterte Auflage 2016, ISBN: 978-3170293588
  • Markus Biedermann, Sandra Furer-Fawer, Herbert Thill, Smoothfood. 5 Sterne für die Heimküche Lambertus-Verlag, Auflage 2010, ISBN 978-3784119755