Ernährung und Nahrungsanpassung

Prof. Dr. med. Thomas Meyer, Facharzt für Neurologie
Dr. med. Merle Barbara Keck, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie
Gabriele Frisch, Ernährungsberaterin Ambulanz für ALS und andere Motoneuronenerkrankungen, Charité – Universitätsmedizin Berlin
 

Ernährungsbezogenen Symptome bei der ALS

Ein unerwünschter Gewichtsverlust betrifft mehr als 50% aller Menschen mit ALS. Der Gewichtsverlust ist bedeutsam, da eine Unter- und Mangelernährung mit einer reduzierten Lebensqualität sowie mit einer Lebenszeitverkürzung verbunden sein kann. Bei der ALS kann der unerwünschte Gewichtsverlust in der Folge einer Schluckstörung (Dysphagie) und damit verbundener Mangelernährung (Malnutrition) entstehen. Unabhängig von einer Schluckstörung und Nahrungsentzug kann ein erheblicher Gewichtsverlust durch einen erhöhten Ruheumsatz und eine katabole (muskelabbauende) Stoffwechsellage entstehen. Die Ursachen eines unerwünschten Gewichtsverlustes bei Patienten mit Dysphagie und ohne Schluckstörung sind unterschiedlich, so dass eine Differenzierung beider Symptomkonstellationen sinnvoll ist. Beim Gewichtsverlust sind zwei Schweregrade zu unterscheiden: Bei der „Abmagerung“ (Inanition) liegt eine Reduktion des Körpergewichtes unter 80% des Normalgewichts vor und ist mit einer umkehrbaren Verminderung des Fettgewebes und der Skelettmuskulatur verbunden. Die „sehr starke Abmagerung“ (Kachexie) ist durch einen Body-Maß-Index (Berechnung siehe unten) von unter 18 kg/m2 definiert und mit einem Abbau von Muskulatur sowie von Fettdepots verbunden. Die Kachexie ist nicht umkehrbar und sollte durch eine effektive Ernährungsversorgung verhindert werden. 

Meyer et al. Abb. 1. Häufigkeit einer Schluckstörung im Verlauf der ALS

Häufigkeit einer Schluckstörung im Verlauf der ALS. Auswertung von Symptomen der Schluckstörung bei Menschen mit ALS in der ALS-Ambulanz der Charité.

Ernährungsbezogene Symptome durch Schluckstörung

Bei 30 – 40 % aller Menschen mit ALS beginnt die Erkrankung mit einem „Bulbärsyndrom“. Darunter ist die Betroffenheit der Zungen-, Schlund-, Gesichts- und Kehlkopfmuskulatur zu verstehen, die gemeinsam aus dem Bulbärhirn (der unteren Funktionseinheit des Hirnstamms) versorgt werden. Typischerweise beginnt das Bulbärsyndrom mit einer Sprechstörung (Dysarthrie), nach wenigen Wochen bis Monaten nach Beginn der Sprechstörung folgt eine langsam-fortschreitende Schluckstörung. Für Schluckstörungen verwendet man auch häufig den Begriff der Dysphagie. Er steht für „Störung des Schluckvorgangs“ und leitet sich von „dys“ (= Störung) und „phagein“ (= Essen) ab. Im Ausnahmefall kann auch eine Schluckstörung ganz am Beginn der Erkrankung stehen. Auch bei Betroffenen mit einem Extremitätenbeginn der ALS kann es im Krankheitsverlauf zu einem Bulbärsyndrom und einer damit verbundenen Dysphagie kommen.

Etwa 70 % aller Menschen mit ALS erfahren eine Schluckstörung im ALS-Krankheitsverlauf. Die ALS-bedingte Dysphagie beginnt meist mit einer geringgradigen Schluckstörung, die durch eine leichte Schwäche (Parese) oder eine geringe Steifigkeit (Spastik) der Zungen- und Schlundmuskulatur begründet ist. In dieser Phase beschreiben die Betroffenen eine Einschränkung der Nahrungsplatzierung im Mund oder diskrete Veränderungen im Schluckvorgang. So kann auch ein leichteres Verschlucken bei Flüssigkeiten (Getränke) oder bei sehr trockenen und lockeren Nahrungsbestandteilen (Krümel) entstehen. 

Bei einem weiteren Fortschreiten der ALS kann das Zerkleinern der Nahrung im Mund durch eine Parese oder Spastik der Kaumuskulatur eingeschränkt werden (mittelgradige Schluckstörung). Auch der Nahrungstransport im Mund, Schlund und der Speiseröhre wird erschwert. So kann es zu Nahrungsresten im Mund und Schlund kommen, die als Fremdkörpergefühl erlebt werden. Weiterhin kommt es zu einer Einschränkung der Schluckreflexe sowie von Öffnungsbewegungen der Speiseröhre. 

Bei einer weiteren Krankheitsprogression entstehen motorische Einschränkungen der Kehlkopffunktion, so dass Nahrungsbestandteile (z. B. bei einer Fehlfunktion des Kehldeckels) in die Luftröhre (anstelle der Speiseröhre) gelangen können (Aspiration). Das Eintreten von Speichel und Nahrungsbestandteilen in die oberen Atemwege ist mit einem erhöhten Risiko einer Pneumonie (Lungenentzündung) verbunden. Eine hochgradige Dysphagie liegt dann vor, wenn eine schwere oder vollständige Lähmung der Kau- und Schluckmuskulatur besteht. In dieser Situation ist das Herunterschlucken von Nahrung erschwert oder nicht möglich. 

Insgesamt kommt es in der Mehrheit der Betroffenen zu einem langsamen Fortschreiten einer Dysphagie, die mit einer diskreten Schluckstörung beginnt und zu einer hochgradigen Einschränkung der Schluckstörung bis zu einem vollständigen Verlust der Schluckfunktion (Aphagie) führen kann.
 

Ernährungsbezogene Symptome ohne Schluckstörung

Bei einem Teil der Betroffenen kommt es zu einem unerwünschten Gewichtsverlust vor Beginn der motorischen Symptome oder im frühen Verlauf der ALS. Dieser Gewichtsverlust (der 20 bis 30 kg betragen kann) ist weder durch eine Dysphagie noch durch den Verlust der Muskelmasse hinreichend erklärt. Bei dieser Patientengruppe liegt eine ALS-assoziierte Stoffwechselstörung vor, die mit einem erhöhten Energiebedarf (gesteigerter Ruheumsatz) verbunden ist. Dieser ALS-bedingte Gewichtsverlust hat Parallelen zu anderen „konsumierenden“ Erkrankungen (z. B. Krebserkrankungen), die zu einem Aufzehren von Fettreserven und der Muskelmasse des Körpers führen („Wasting“-Syndrom). 

Bei anderen ALS-Patienten kann der Gewichtsverlust in Folge bestimmter ALS-Symptome entstehen („sekundäres Wasting-Syndrom“). So erleidet ein Teil der Betroffenen bereits im frühen Krankheitsverlauf eine Schwäche der Rumpf- und Zwerchfellmuskulatur (axiale ALS), die mit einer Atemschwäche sowie mit einer erhöhten Atemarbeit und gesteigertem Energiebedarf verbunden ist. Patienten mit einer axialen ALS erfahren häufig einen Gewichtsverlust, der in Verbindung mit der Atemanstrengung steht. 

Die negative Energiebilanz kann verstärkt werden, wenn (neben dem erhöhten Bedarf) die Nahrungsaufnahme reduziert ist. Charakteristisch ist ein Appetitverlust, der durch sehr unterschiedliche Ursachen entstehen kann (Belastungssituation, depressives Syndrom, Obstipation). Die motorische Betroffenheit der Arme kann ebenfalls (durch die Einschränkung von Bestecknutzung, Nahrungsvorbereitung und Essbewegungen) zu einer verminderten Nahrungsaufnahme beitragen.
 

Auswirkungen ernährungsbezogener Symptome

Die ALS-bedingte Dysphagie und Kachexie haben Auswirkungen auf die Mahlzeiten, den Ernährungszustand und das Sozialleben, die nachfolgend dargestellt werden.

Auswirkungen auf die Mahlzeiten

Bei einer beginnenden Dysphagie ist anfänglich das Schlucken von Flüssigkeiten anfällig und erschwert. So ist das „Verschlucken“ beim Trinken ein typisches Frühsymptom der Dysphagie. In der Folge wird das Schlucken anderer spezifischer Nahrungsbestandteile erschwert (trockene und kleinteilige Nahrungsbestandteile bilden Nahrungsreste entlang des Schluckaktes; grobe Nahrungsbestandteile werden durch Parese der Kaumuskulatur unzureichend zerkleinert). Die Schwierigkeiten in der Platzierung, dem Transport oder der Zerkleinerung von Nahrungsbestandteilen (Flüssigkeiten; besonders kleine oder grobe Nahrungsbestandteile) führen zur Notwendigkeit einer veränderten Nahrungskonsistenz bei einer beginnenden Dysphagie. Bei einer weiteren Progression der Dysphagie kommt es zu einer Transportstörung aller Nahrungskomponenten, die sich mit verzögerten Mahlzeiten darstellt. So kann sich die Mahlzeitendauer (im Vergleich zur früheren Essgeschwindigkeit) verdoppeln oder darüber hinaus verzögern.

Auswirkungen auf den Ernährungszustand

Durch die Kau- und Schluckstörung kann die Zerkleinerung und Aufbereitung der Nahrung und damit die Verwertbarkeit der zugeführten Nahrung eingeschränkt sein. Die Schluckstörung kann einen veränderten Speichelfluss (in Relation zur Nahrung) produzieren, der ebenfalls eine Auswirkung auf den Verdauungsprozess (der bereits im Mund beginnt) ausübt. Der entscheidende Faktor für einen unerwünschten Gewichtsverlust durch Dysphagie ist die veränderte Nahrungszusammensetzung und die Reduktion der aufgenommenen Nahrungsmenge (die volle Mahlzeit kann durch die mechanische Schluckstörung nicht mehr aufgenommen werden). Bei einer fehlenden oder unzureichenden Ernährungsversorgung kann eine negative Nahrungsbilanz (die aufgenommene Nahrungsenergie ist wesentlich geringer als der körperliche Verbrauch) bis hin zu einer Kachexie (schwere Abmagerung) entstehen.

Auswirkungen auf das Sozialleben

Die erhöhte Kau-, Schluck- oder Atemanstrengung führt bei einem Teil der Betroffenen zu einer verminderten Genussfähigkeit der Mahlzeiten. Hinzu kommt das mögliche Erleben einer Stigmatisierung durch überschüssigen Speichelfluss (Sialorrhoe) sowie durch den veränderten Kau- und Schluckvorgang, der auch nach außen hin sichtbar werden kann. So kann eine Rückzugstendenz bei Mahlzeiten entstehen. Das Essen in der Öffentlichkeit oder in größeren Gesellschaften wird vermieden. Die Behandlungsoptionen der Ernährungsversorgung (Dysphagieprodukte, ergänzende Trinknahrung und Erhalt von reduzierten Mahlzeiten trotz PEG-Ernährung) dienen dem Erhalt der Genussfähigkeit, der Teilnahme an Mahlzeiten und der damit verbundenen sozialen Teilhabe (siehe unten).
 

Prognostische Bedeutung von Dysphagie und Kachexie

Eine Gewichtsabnahme hat eine ungünstige prognostische Bedeutung bei der ALS und sollte durch eine optimale Ernährungsversorgung vermieden oder wirksam behandelt werden. Die prognostische Bedeutung geht auf die Ergebnisse verschiedener klinischer Studien zurück. In einer großen Beobachtungsstudie bei ALS-Patienten konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer Erhöhung der Blutfette (Cholesterin und Triglyzeride) zu einer verbesserten Prognose im Vergleich zu ALS-Patienten mit normalen Blutfetten aufwiesen. Andere Untersuchungen haben nachgewiesen, dass eine Gewichtsabnahme unter einen Body-Maß-Index von 18,5 kg/m² zu einer mehrfach gesteigerten Sterblichkeit innerhalb der folgenden 6 Monate führt. Der negative Effekt des Gewichtsverlustes bestand auch dann, wenn die Atmung der untergewichtigen ALS-Patienten intakt war. Offensichtlich ist die Gewichtsabnahme ein unabhängiger Prognosefaktor im Krankheitsverlauf der ALS. 

Bisher ist noch nicht im Detail bekannt, auf welchem Mechanismus der Gewichtsverlust zu einer Prognoseverschlechterung führt. Denkbar sind eine Schwächung des Immunsystems und eine damit verbundene Infektanfälligkeit in Folge der negativen Energiebilanz. Nicht auszuschließen ist, dass ein Nahrungs- und Energiedefizit auch eine unmittelbare Auswirkung auf die Widerstandsfähigkeit der Motoneuronen ausüben kann. Zusätzlich ist bekannt, dass eine Gewichtsabnahme von mehr als 10 % des Ausgangsgewichtes (das vor Krankheitsbeginn bestand) mit einer erhöhten 30-Tage-Sterblichkeit nach Anlage einer PEG verbunden ist. Möglicherweise führt der Gewichtsverlust zu einer körperlichen Schwächung, die eine Erholung von den operativen Belastungen der PEG-Anlage (und möglicherweise anderer Operationen) erschwert. Die genauen Zusammenhänge zwischen Gewichtsverlust und Prognoseverminderung sind auch hier nicht bekannt. 

Sicher ist jedoch, dass die Vermeidung eines Gewichtsverlustes für die Gesamtprognose und die Verbesserung von Operationsfähigkeit (z. B. einer PEG-Anlage) bedeutsam ist. Durch die klinischen und wissenschaftlichen Hinweise, dass ein höheres Körpergewicht den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst, ist es sinnvoll, dem Erhalt des eigenen Körpergewichts und der Vermeidung von Gewichtsabnahme eine besondere Bedeutung zu geben. Dabei bestehen im Krankheitsverlauf sehr verschiedene und individuelle Handlungsmöglichkeiten, die nachfolgend dargestellt werden.
 

Behandlung ernährungsbezogener Symptome

Die Auswirkungen der Dysphagie werden – in Abhängigkeit vom Schweregrad und den individuellen Bedarfen – mit einer Anpassung der Lebensmittelauswahl, der Nahrungszubereitung und Essgewohnheiten behandelt. Weitere individuelle Versorgungsoptionen bestehen in einer ergänzenden Trinknahrung oder einer Sondennahrung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG). 

Meyer et al. Abb. 2. Versorgungsoptionen bei ALS-bedingter Schluckstörung

Versorgungsoptionen bei einer ALS-bedingten Schluckstörung.

Anpassung der Lebensmittelauswahl bei Schluckstörung

Bei einer beginnenden und fortschreitenden Schluckstörung besteht die Möglichkeit, alleine durch die Auswahl der Lebensmittel bestimmte Erleichterungen beim Schlucken zu erreichen und Schwierigkeiten, die sich durch den Verzehr bestimmter Lebensmittel ergeben können, abzuwenden. Besondere Schwierigkeiten (bereits in der führen Phase der Dysphagie) können beim Schlucken von Getränken und dünnflüssigen Speisen (z. B. von Wasser, Saft, Suppe) entstehen. Problematisch können auch Lebensmittel sein, die besonders trocken (z. B. Brot) oder krümelig sind (Gebäck, Nüsse, Knäckebrot etc.). Für die genannten Lebensmittel liegen keine allgemeinen „Gesetzmäßigkeiten“ vor. Es ist für jeden Patienten empfehlenswert (ggf. zusammen mit einem Logopäden), die Eignung einzelner Hilfsmittel zu probieren und die individuelle Verträglichkeit zu ermitteln. Die nachfolgenden Empfehlungen sind als generelle Trends zu verstehen, die von einer Vielzahl von Betroffenen bestätigt wird. Insgesamt haben sich die folgenden Empfehlungen in der Auswahl von Lebensmitteln bewährt:

  • Faserige Lebensmittel (z. B. Rhabarber und Spargel) sollten vermieden werden
  • Stark säurehaltige Getränke (z. B. rote Fruchtsäfte) und Speisen (z. B. saure Gurken) sollten vermieden werden
  • Stark kohlensäurehaltige Getränke (Brausen und kohlensäurehaltiges Mineralwasser) sollten vermieden werden
  • Stark gewürzte und scharfe Speisen sollten vermieden werden, da die Gewürze die Speichelproduktion anregen und eine eventuell bestehende Sialorrhoe verstärken können
  • Der Austausch von Fleisch zu Fisch ist empfehlenswert, da Fisch eine geeignete Konsistenz bei einer Schluckstörung aufweist
  • Hartkäse sollte zu Frischkäse ausgetauscht werden, da Frischkäse eine geeignete Konsistenz aufweist
  • Reis oder Nudeln sollten durch Kartoffeln oder Kartoffelpüree aufgrund der günstigen Konsistenz ausgetauscht werden
  • Kräuter und Gewürzstaub sind zu vermeiden, da sie an sich zu einer Reizung der oberen Atemwege und zu einem Verschlucken führen können
  • Klebrige Kost (z. B. durch Weißbrot) sollten vermieden werden

Die individuelle Verträglichkeit bestimmter Nahrungsbestandteile (und die damit verbundene Vermeidungsempfehlung) hängt von der konkreten Betroffenheit ab. So kann die Verträglichkeit von trockenen und krümeligen Lebensmitteln oder die Entstehung einer Klebrigkeit von Nahrungsbestandteilen maßgeblich davon bestimmt sein, ob ein Mangel oder (häufiger) Überschuss von Speichel vorliegt. Ein Überschuss an Speichel (Sialorrhoe) ist sehr häufig mit einer Dysphagie assoziiert.
 

Anpassung der Nahrungszubereitung bei Dysphagie

Bereits bei der Zubereitung sollten „komplizierte“ Nahrungsbestandteile, wie Obstschalen, Wursthaut, Brotrinde usw. entfernt werden. In Abhängigkeit von den individuellen Kaufähigkeiten sollte Obst, Gemüse, Brot usw. bereits vor der Mahlzeit kleingeschnitten, gerieben, geraspelt oder püriert werden. Das Ausmaß der Nahrungsanpassung sollte im Krankheitsverlauf und der fortschreitenden Schluckstörung an die Intensität der Erkrankung angepasst werden. Bei einer geringen Schluckstörung ist alleine durch die Vermeidung von „Problemkost“ (Vermeidung von Körnern, Krusten, Fasern und Gräten usw.) und die Nutzung überwiegend weicher Kost die Dysphagie kompensierbar. 

Bei einer mittelschweren Schluckstörung (Probleme beim Kauen und mühevolles Herunterschlucken; Hängenbleiben von Nahrung im Rachen; Verschlucken bei fester Kost; Verschlucken beim Trinken) sollte die Konsistenz der Nahrung in Form einer dickbreiigen Kost (leicht angedickte Suppen; Pudding, Quark, Joghurt, Eis, Früchtebrei) oder sehr weicher Kost aufweisen (Brot ohne Rinde, Streichwurst; Streichkäse; Marmelade oder Stücke; sehr weiche Kartoffeln; Klöße, Gemüse in Soße; püriertes Fleisch, pürierter Fisch; Leberkäse, Würstchen ohne Haut). Bei der mittelgradigen Schluckstörung sind hochkalorische Ergänzungsnahrungen („Trinknahrung“) als Ergänzung zu der vorbeschriebenen adaptierten Nahrung sinnvoll und ärztlich verordnungsfähig. 

Bei einer hochgradigen Schluckstörung (Unfähigkeit zu Kauen und erschwertes Herunterschlucken; wiederholtes und schweres Verschlucken bei der Mehrheit der Speisen und Getränke) ist eine weitere Anpassung der Kost vorzunehmen. Zu empfehlen sind eine passierte Kost (sowie Getränke, die die Konsistenz eines dünnen glatten Breis aufweisen sollten (leicht angedickte Suppen, Früchtebreis, stark angedickte Getränke einschließlich Andickung von Wasser, Tee, Kaffee und Apfelsaft). Kartoffeln, Nudeln und Teigwaren sowie Gemüse, Hülsenfrüchte sollten püriert werden. In dieser Phase der Schluckstörung ist eine ergänzende hochkalorische Nahrung angezeigt, da erfahrungsgemäß die erforderliche Nahrungsmenge, die für eine ausgewogene Ernährungs- und Kalorienbilanz erforderlich ist, nicht mehr erreicht werden kann. 

Bei einer hochgradigen Schluckstörung oder einem Verlust der Schluckfähigkeit (Aphagie) ist eine ergänzende oder ausschließliche Ernährung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) eine wichtige und etablierte Behandlungsoption, die in einem separaten Kapitel beschrieben wird.
 

Anpassung der Nahrungsaufnahme bei Dysphagie

Zusätzlich zur Auswahl und Zubereitung der Lebensmittel kann eine Veränderung der Art und Weise des Essens notwendig und hilfreich sein. Für die Mahlzeit sollte ein optimales Umfeld geschaffen werden. Dabei können die folgenden Anpassungen und Maßnahmen hilfreich sein:

  • Für die Mahlzeit sollte ausreichend Zeit eingeplant werden, da die Schluckstörung zu einer Verlängerung der Mahlzeitendauer führen kann. Zur Verbesserung der Konzentration auf den Schluckakt an sich kann die Vermeidung von Ablenkungen (z. B. Fernseher, Radio und Gespräche) sinnvoll sein.
  • Die geeignete Körperhaltung ist ein entscheidender Faktor für einen effizienten Schluckvorgang. So sollte die Mahlzeit in einer geraden und aufrechten Position am Tisch eingenommen werden. Bei einer Schwäche der Rumpfmuskulatur ist eine Rückenunterstützung oder Anlehnung des Rumpfes an eine Rückenlehne sinnvoll. Die Arme sollten leicht angewinkelt und die Schultern nach vorne gezogen sein.
  • Ein Essen und Trinken im Liegen sollte vermieden werden.
  • Der Kopf sollte leicht nach vorne gebeugt sein, damit die notwendigen Kehlkopfbewegungen während des Schluckaktes erleichtert erfolgen können.
  • Bei Lähmungen der Hände sollten spezielle Trinkbecher, Strohhalme, Griffverdickungen individuell bereitgestellt und angepasst werden.
  • Auf dem Teller sollten lediglich kleine Portionen aufgetragen werden. Die Speisemengen sollten angemessen sein; ggf. ist anstelle eines Esslöffels ein Teelöffel zu nutzen.
  • Feste und weiche Kost sollte ausreichend lange gekaut und eingespeichelt werden. Erst bei einem subjektiven Eindruck, dass die Nahrung im Mund ausreichend zerkleinert und gleitfähig ist, sollte der Schluckprozess eingeleitet werden (nicht „zu früh“ schlucken).
  • Nach dem Schlucken noch 1 – 2 x nachschlucken. Vor dem nächsten Schlucken sollte eine Stimmprobe gemacht werden („a-a-h“ oder „o-o-h“). Während des Kauens und Schluckens sollte nicht gesprochen werden. Während des Schluckens sollte der Körper nicht zurückgelehnt werden.
     

Ernährungsbedarf und Ernährungsprodukte

Bei einer ALS-bedingten Dysphagie ist insbesondere das Schlucken von Flüssigkeiten und Getränken problematisch. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Flüssigkeitsaufnahme kann das Trinken von Flüssigkeiten nicht grundsätzlich vermieden werden. 
Eine Möglichkeit, die Flüssigkeitsaufnahme zu erleichtern und das Verschlucken an Getränken zu verhindern, besteht in der Nutzung von Andickungsmitteln (Dysphagie-Produkten). So werden von verschiedenen Herstellern geschmacksneutrale Andickungsmittel angeboten, die für das Andicken von Getränken geeignet sind. Durch ein individuelles Mischverhältnis zwischen der Flüssigkeit (z. B. Tee, Kaffee, Säften usw.) und dem Andickungsmittel (Ausgangsprodukt als Pulver) kann durch ein entsprechendes Mischverhältnis die optimale Konsistenz probiert und ausgewählt werden. Die Andickungsmittel sind für kalte als auch warme Flüssigkeiten geeignet. 

Faktoren einer negativen Energiebilanz bei der ALS

Das Aussehen der Nahrung wird nicht verändert. Bereits nach wenigen Minuten ist die gewünschte Konsistenz erreicht. Eine Verzögerung der Nahrungsaufnahme durch das Bereitstellen von angedickten Flüssigkeiten ist daher nicht zu erwarten.

Der unerwünschte Gewichtsverlust mit den Folgen der starken Abmagerung (Kachexie) entsteht durch eine negative Energiebilanz. Das Nahrungsangebot (bedingt durch Schluckstörung, Appetitverlust und andere Faktoren) ist geringer als der tatsächliche Energiebedarf (negative Energiebilanz). Die Energiebilanz kann noch weiter verschlechtert werden, wenn besonders hohe Energiebedarfe (z. B. durch eine erhöhte Atemarbeit) oder einen erhöhten Ruheumsatz (Steigerung des Stoffwechsels bei der ALS) vorliegt.

Das Ziel jeglicher Ernährungsversorgung besteht darin, eine negative Energiebilanz zu verhindern und ein ausreichendes Kalorien- und Nahrungsangebot herzustellen. Der Energiebedarf eines Erwachsenen beträgt 30 kcal pro Normalgewicht eines Menschen. Die Berechnung des Normalgewichtes folgt nach einer einfachen Formel: Körpergröße in cm minus 100. So beträgt z. B. das Normalgewicht eines Menschen, der eine Körpergröße von 170 cm aufweist, 70 kg (Berechnung: 170 cm Körpergröße minus 100 = 70 kg). In diesem Fall ergibt sich folgender Energiebedarf pro Tag: 30 kcal x 70 kg = 2100 kcal. Eine analoge Rechnung kann für jeden Patienten angestellt werden. Die Berechnung des Energiebedarfs ist die Aufgabe von Ernährungstherapeuten, die bei der Versorgung von Menschen mit ALS in jedem Fall einbezogen werden sollten. 

Ernährungstherapeuten verfügen auch über die hinreichenden Erfahrungen und medizinischen Berechnungsmethoden, um den Kaloriengehalt der tatsächlich zugeführten Nahrung zu ermitteln und den ggf. ungedeckten Energiebedarf zu ermitteln.

Neben der Berechnung des Energiebedarfs sind das tatsächlich vorhandene Körpergewicht und die Entwicklung des Körpergewichts von entscheidender Bedeutung. Dabei wird das Körpergewicht (ermittelt auf einer Waage) mit der Körpergröße des Patienten in Relation gesetzt. Das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Körpergröße wird im sog. Body-Maß-Index (BMI) ermittelt. Der BMI berechnet sich als Körpergewicht in kg/(Körpergröße in Meter)². Für eine Person mit einer Körpergröße von 1,7 m und einem Gewicht von 80 kg berechnet sich der BMI wie folgt: 80 kg / (1,7)2 =24,7 kg/ m2. Ein BMI unter 18,5 kg /m² gilt als Untergewicht und als behandlungsbedürftig. Eine Unterschreitung dieses Grenzwertes sollte vermieden oder korrigiert werden. Unabhängig vom absoluten Wert des BMI sollte auch die relative Abnahme des BMI beachtet werden. Die Abnahme des BMI im Vergleich zum Ausgangsgewicht um mehr als 10 % sollte zu einer gezielten Ernährungsberatung und einer Einschätzung des Energiebedarfs führen. 

Bei einer negativen Energiebilanz, einer Unterschreitung des BMI unter den Grenzbereich oder einer stetigen Abnahme des BMI ist der Einsatz von hochkalorischer Trinknahrung (1,5 kcal/ml oder 2 kcal/ml) indiziert. Dabei stehen die folgenden Produktgruppen durch verschiedene Anbieter zur Verfügung:

  • Hochkalorische Trinknahrung mit Ballaststoffen
  • Hochkalorische Trinknahrung ohne Ballaststoffe
  • Hochkalorische Trinknahrung mit Andickungsmittel
  • Hochkalorische Nahrung als Cremespeisen und Puddings
  • Energiereiche Suppen

Trinknahrung kann von einem Arzt (Hausarzt, Facharzt, spezialärztliche Versorgung in Ambulanzen) rezeptiert und zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden. Die Ärzte sind bei der Verordnung von Trinknahrung und Sondennahrung im Gegensatz zu vielen Medikamenten nicht budgetiert. In Deutschland sind verschiedene Netzwerke entwickelt, die sich auf die Ernährungsversorgung einschließlich der qualifizierten Ernährungsbehandlung von Menschen mit ALS spezialisiert haben. Bereits im frühen Krankheitsverlauf ist bei Vorliegen einer Dysphagie oder eines unerwünschten Gewichtsverlustes (auch wenn er von geringem Ausmaß ist) die Kontaktaufnahme mit einer geeigneten Ernährungstherapeutin empfehlenswert. 

Bei der Zufuhr von Trinknahrung ist darauf zu achten, dass sie zunächst langsam und vorzugsweise über den Tag verteilt zu sich genommen wird. Das gilt auch für die reguläre Nahrung, die in kleineren Portionen und mehreren Zwischenmahlzeiten eingenommen werden sollte. Ein zu rascher Verzehr von Trinknahrung kann zu Unverträglichkeiten einschließlich Aufstoßen (Reflux), Übelkeit und Völlegefühl führen. Bei einer korrekten Anwendung von Trinknahrung ist von einer sehr guten Verträglichkeit der Ernährungsprodukte auszugehen. Aufgrund der Vielzahl von verfügbaren Ernährungsprodukten von unterschiedlichen Herstellern gelingt zumeist die Anpassung an eine gut verträgliche hochkalorische Trinknahrung. 

Bei einer Zunahme der Dysphagie kann selbst die Aufnahme von Trinknahrung eingeschränkt, unzureichend oder sogar unmöglich werden. In diesem Fall ist die Ernährung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) möglich. Bereits bei einer unerwünschten Gewichtsabnahme, mit Reduzierung des BMI und einer negativen Ernährungsbilanz trotz Trinknahrung, ist bei einer hochgradigen Schluckstörung die frühzeitige Entscheidung für eine PEG zu stellen.