Atemstörungen

Unser Atemsystem besteht aus zwei Anteilen – dem gasaustauschenden System (Lunge) und dem ventilierenden System (Atempumpe). Im Krankheitsverlauf der ALS kommt es regelmäßig zu einer Schwäche der Atemmuskulatur, die zu einer Atemfunktionsstörung (respiratorische Insuffizienz) führt. Die Atmung wird flacher (Hypoventilation), die Atempumpe verfügt nicht mehr über ausreichend Kraft – um einerseits genügend Sauerstoff einzuatmen, andererseits ausreichend Kohlendioxid (CO2) auszuatmen. 
 

Wann kommt es zu einer Atemstörung?

Die Schwäche der Atemmuskulatur kann in unterschiedlichen Phasen der Erkrankung eintreten, bei  60% der ALS-Patienten erst nach dem Verlust der Gehfähigkeit, bei 10-20% der ALS-Patienten jedoch bereits sehr früh im Erkrankungsverlauf. Bei etwa 10% der ALS-Patienten besteht bereits bei oder sogar vor Diagnosestellung eine zur Ateminsuffizienz und Beatmungspflicht führende Atemmuskelschwäche. Nächtliche, schlafbezogene Atemstörungen kommen unabhängig von der Vitalkapazität ebenfalls häufig vor.
 

Wie entsteht die Atemstörung?

Die wesentlichen Muskeln für die Atmung sind das Zwerchfell, die Zwischenrippenmuskeln, die Bauchmuskeln sowie die Muskulatur des Schultergürtels und des Halses (Atemhilfsmuskulatur). Die Ruheatmung wird vor allem vom Zwerchfell geleistet. Für jede verstärkte Atemtätigkeit werden die anderen Muskelgruppen gebraucht (z.B. beim Husten). 

Neben den durch die Muskelschwäche bedingten Atemstörungen können auch schlafbezogene Atemstörungen vorhanden sein, selbst wenn am Tag die Lungenfunktion noch völlig ausreichend ist. Schlafbezogene Atemstörungen gehen mit nächtlichen Atempausen einher, die zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut führen und durch wiederholende kurze Aufweckreaktionen eine erhebliche Störung der Schlafqualität bedingen. Ein erholsamer Schlaf ist nicht mehr gewährleistet, selbst wenn formal ausreichend lange geschlafen wird. Langfristig führen schlafbezogene Atemstörungen außerdem nicht selten zu einer Belastung der rechten Herzkammer.
 

Welche Folgen hat die Atemstörung?

Zu den Auswirkungen einer Schwäche der Atemmuskulatur zählen Störungen der Lungenbelüftung, Ansammlung von Sekret durch mangelnde körperliche Bewegung und verminderten Hustenstoß sowie eine zunehmende Steifigkeit des Brustkorbs aufgrund flacherer Atmung. Chronische „Unterbeatmung“ führt zu Schleimansammlungen mit Verlegung der kleinen Atemwege (Mikroatelektasen) in der Lunge. Die mangelhafte, mechanische Belüftung der Lunge bringt eine erhöhte Gefahr für Infektionen der Atemwege und der Lunge mit sich, die wiederum die Atemfunktion sekundär beeinträchtigen können. 

Schluckstörungen können zusätzlich zu einer vorhandenen Atemstörung, aber auch unabhängig davon auftreten und zu einer erhöhten Gefahr des Verschluckens (Aspiration) führen. Bei Zusammentreffen von Schluckstörung und gemindertem Hustenstoß besteht die Gefahr eines akuten Erstickungsnotfalls durch Verschlucken.
 

Wie zeigt sich die Atemstörung?

Bemerkbar macht sich die Atemmuskelschwäche zuerst im Schlaf, der Sauerstoffgehalt im Blut nimmt ab, der Kohlendioxidgehalt steigt an. Der Körper schützt sich vor den Folgen der Unterbeatmung durch Verhinderung des Tiefschlafes: Betroffene wachen häufig auf, schlafen unruhig und sind morgens schlecht ausgeschlafen. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung sind eine flachere, schnellere Atmung, der Einsatz der Atemhilfsmuskulatur am Hals und die so genannte paradoxe Atmung mit Einziehung des Bauches während der Einatmung zu beobachten.

Lange bevor Sie Atemnot empfinden, können folgende unspezifische Symptome auf eine Unterbeatmung hindeuten:

  • Unruhiger Nachtschlaf
  • Morgendliche Kopfschmerzen
  • Tagesmüdigkeit / Einschlafneigung am Tage
  • Angstzustände und depressive Verstimmungen
  • Vermehrte Infekte
  • Appetitmangel und Gewichtsabnahme
  • Mangelnde Leistungsfähigkeit und Konzentrationsstörungen

Wann und wie wird die Atemstörung erkannt?

Alle Veränderungen können frühzeitig gemessen werden, so dass eine Therapieentscheidung fast immer rechtzeitig getroffen werden kann. Dennoch wird die Atemschwäche nicht selten spät erkannt, wenn schon deutliche Beschwerden vorliegen, oftmals erst dann, wenn eine intensivmedizinische Behandlung notwendig geworden ist. Um Atemstörungen rechtzeitig zu erkennen und eine Therapie einzuleiten, sollten bereits vor Auftreten der Symptome in regelmäßigen Zeitabständen Untersuchungen durchgeführt werden. Wesentlich sind die Lungenfunktionsprüfung, die Blutgasanalyse und die kontinuierliche Messung des Sauerstoff- und Kohlendioxidgehaltes im Blut (nächtliches Monitoring). 
 

Wie wird die Atemstörung behandelt?

  • Atemphysiotherapie kann die Überforderung der Atemmuskulatur senken und die geschwächte Muskulatur stimulieren. Die Schulung der Atemwahrnehmung, die Sekret-Mobilisation, die Vermittlung von Hustenunterstützung und ggfs. die Mobilisierung des Brustkorbes sind geeignete Maßnahmen.
  • Außerklinische Beatmung (Heimbeatmung): Eine erhebliche Schwäche der Atemmuskulatur kann durch maschinelle Langzeitbeatmung in häuslicher Umgebung oder in einer Pflegeeinrichtung behandelt werden.

Bitte beachten Sie

Die Atemstörung bei ALS ist keine Erkrankung der Lunge sondern eine Störung der Atemmuskelfunktion. Diese Unterscheidung ist wesentlich für die Behandlung. Während bei einer Störung des Gasaustausches in der Lunge die Gabe von Sauerstoff ausreichend ist, muss bei einer respiratorischen Insuffizienz eine Beatmungstherapie begonnen werden. Eine reine Sauerstoffbehandlung kann zur Intoxikation führen und langfristig lebensbedrohlich werden.

Die Diagnostik und weitere Betreuung sollte durch spezialisierte Ärzte in den Neuromuskulären Zentren oder in speziellen Beatmungszentren erfolgen.  Geeignete Adressen können Sie bei der Bundesgeschäftsstelle der DGM erfragen.

Dieses Kapitel wurde zusammengestellt aus Abschnitten der DGM-Information „Atemstörungen und häusliche Beatmung“ von Prof. Dr. med. Wolfram Windisch (Stand 08/2016) sowie Textbeiträgen von PD Dr. med. Martin Winterholler und Steven Taubner.

Hier die vollständige neueste Auflage der DGM-Information zum Download: