01.02.2019

Urotherapie: Ein Weg der Selbstbestimmung

DGM-Newsletter 01/2019

Bei neurogenen Erkrankungen und traumatischen Rückenmarksverletzungen sind Veränderungen der Funktionen von Blase und Darm sowie der Sexualität häufige Begleiterscheinungen. Dabei handelt es sich um ein schambehaftetes Tabuthema, das meist nicht vorrangig auf dem Behandlungsplan steht. Im Kontrast dazu steht die Wahrnehmung der Betroffenen, die Inkontinenz als eine erhebliche Beeinträchtigung ihres Alltages empfinden. „Von außen sieht man nichts, bald lässt es sich nicht mehr verbergen“ oder „Peinliche Momente sind vorprogrammiert“ sind Aussagen von Patienten. Nicht nur die Einschränkung der Mobilität und der Sensibilität, sondern auch die Folgen von Blasen-und Darmfunktionsstörungen bedeuten immer ein einschneidendes Erlebnis. Es machen sich rasch Hilflosigkeit, Resignation, ein Mangel an Selbstwertgefühl sowie Enttäuschung bemerkbar.

Hier bietet die Urotherapie eine Möglichkeit, beratend und schulend zu begleiten und in der Kommunikation mit dem Patienten therapeutisch eine Möglichkeit zur Selbständigkeit, Lebensqualität und Selbstbestimmung zu erreichen. Dies erfahre ich bei meiner Arbeit als Urotherapeutin immer wieder auf vielfache und sehr persönliche Weise. Der Urotherapeut ist ein wichtiges Bindeglied zwischen Arzt, Pflegepersonal, Patient und Angehörige. Aufgrund der engen Zusammenarbeit mit dem Patienten können wertvolle Informationen entdeckt und kommuniziert werden und damit effektiver in das therapeutische Handeln einbezogen werden.

Was ist Urotherapie:? Definition
Blasen- und Darmmanagement
Tabelle erstellt von Isabell Beyer

Unter einem Blasen- und Stuhlmanagement versteht man eine genaue Aufzeichnung (Protokoll) von Trinkmenge, Ausscheidung und der jeweiligen Uhrzeit. Darauf aufbauend können therapeutische Maßnahmen wie z. B. ein Toilettentraining (Toilettengang nach Uhrzeit) angeboten werden. Ziel ist ein gesunde Blasen- oder Darmentleerung, die keine Beeinträchtigung des Alltages bedeutet. Ein spezielles Aufgabengebiet des Urotherapeuten ist das Anleiten zum intermittierenden Selbstkatheterismus oder Fremdkatheterismus (ISK oder IFK), sowie der Umgang mit einem Kondomurinal oder anderen Hilfsmitteln. Seit vier Jahren führe ich an einer neurologischen Fachklinik Kontinenzberatungen und Schulungen durch. Ich erfahre die große Belastung und den Leidensdruck der Patienten und Angehörigen. Dies entspringt auch einer Hilfslosigkeit und Unwissenheit über therapeutischen Möglichkeiten, die Verordnungsfähigkeit und das Recht auf individuell passende Hilfsmittel. Die Reaktionen sind oft diffuse Ängsten und Abwehr. „Das ist mein Schicksal, damit muss ich halt leben, da kann man nichts machen“. In der engen Zusammenarbeit entsteht eine Vertrauensbasis, auf Grund derer sich die Patienten oft öffnen und ihre sonstigen privaten und beruflichen Lebensumstände schildern. So leistet Urotherapie einen wichtigen Beitrag zur gesamtheitlichen, individuellen, angepassten Behandlung.

Isabell Beyer
Unterschleißheim bei München
Neurologische / urologische Funktionsdiagnostik
Fachkraft für Kontinenzförderung, Urotherapeutin
Kontakt: beyerisa@web.de

Was begeistert mich?
Es macht mir Freude, aus eigener Kraft einen Bereich zu gestalten, den Patienten effektiv sowie professionell in einem interdisziplinären Team zu unterstützen. Die Vielschichtigkeit, das selbständige Arbeiten, das Gefühl gebraucht zu werden und für die Lebensqualität der Patienten effektiv zu sein, fasziniert und erfüllt mich. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es, dass Urotherapie als Berufsgruppe anerkannt und gleichberechtigt zu anderen Therapeuten (wie z. B. Physio- und Ergotherapeuten) im Gesundheitssystem abgebildet würde. Auf diese Weise könnten diese Leistungen breiter aufgestellt werden und eine größere Patientengruppe könnte davon profitieren. Die Gründung der Vereinigung für Urotherapie e. V. – der Organisation der Urotherapeuten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz – Öffentlichkeitsarbeit und die Teilnahme an Kongressen sowie Schulungen haben schon viel dazu beigetragen, diesen Wunsch realistisch werden zu lassen.

Weitere Informationen finden Sie unter:
D-A-CH Vereinigung für Urotherapie: www.urotherapie.de
Deutsche Kontinenz Gesellschaft: www.kontinenz-gesellschaft.de
Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie: www.dmgp.de