24.05.2023

Stimmen von behinderten Spielenden

DGM-Newsletter 03-2023

Melanie Eilert
Spielkonsole

Melanie Eilert berichtet uns als Botschafterin bei Gaming ohne Grenzen von ihren Erfahrungen rund ums barrierefreie Spielen.

Spielekonsole

Was ist deine Aufgabe bei „Gaming ohne Grenzen“?

Wann immer möglich, versuche ich auf das Projekt Gaming ohne Grenzen oder spezielle Aktionen mit meiner Reichweite als Botschafterin aufmerksam zu machen. Ich verweise auf die Medienpädagogen, wenn ich Anfragen erhalte, die sich mit pädagogischen Fragen zum Spielen beschäftigen. Wir ergänzen uns gut, da ich zwar keinen pädagogischen Hintergrund habe, aber aus Sicht eines behinderten Menschen Games wahrnehme und mich viel mit dem Thema barrierearmes Spielen beschäftige.

Gibt es bei dir einen beruflichen Zusammenhang mit dem Gamen?

Nein. Ich komme aus dem kaufmännischen Bereich und bin da auch hauptberuflich immer noch verankert. Durch mein aktivistisches Wirken im Bereich Games und Behinderung hat sich über die letzten Jahre aber eine selbstständige Nebentätigkeit ergeben, die sich aus verschiedenen Aspekten zusammensetzt. So schreibe ich hier und da Artikel für Gaming-Magazine und unterstütze Spieleentwickler bei Fragen zu Barrieren in Games.

Was reizt dich am Thema Gaming? Wie kamst du dazu?

Ende der 80er Jahre habe ich die Diagnose SMA bekommen. Meinen Eltern war klar, dass Technik mir in meinem Leben viel erleichtern und ermöglichen wird. Ihnen war es daher wichtig, dass ich früh damit in Kontakt komme und mich „ran traue“. So sind schon früh ein Super Nintendo und ein Computer bei uns eingezogen, die mir einen spielerischen Einstieg in die Digitalisierung ermöglicht haben. Games waren also ein Teil meiner Kindheit und haben mir schon damals viel Spaß gemacht. Einige Jahre später kam es dann jedoch zu einem Bruch mit Gaming und ich konnte über 15 Jahre nicht mehr wirklich spielen. Die Controller hatten sich verändert und waren größer und schwerer geworden. Die Spiele erforderten komplexere Eingaben und gleichzeitig war auch meine SMA fortgeschritten und das alles zusammen sorgte dafür, dass ich kaum noch Spiele fand, die ich spielen konnte. 2017 stieß ich dann auf ein Video, in dem erzählt wurde, dass ein bestimmtes Action-Spiel, mit besonderem Augenmerk auf barrierefreie Eingaben für Menschen mit motorischen Behinderungen entwickelt wurde. Das machte mich sehr neugierig. Ich hatte das Glück, mir das Spiel und die passende Konsole leihen zu können, um diese Hilfen auszuprobieren. Sie haben sehr gut für mich funktioniert. Das machte mich glücklich, da ich Gaming immer vermisst hatte und endlich ging es wieder. Das Video hatte mir aber auch noch etwas anderes vermittelt: Die Entwickler möchten ihre Spiele barrierearm gestalten. Hierfür braucht es die Stimmen von behinderten Spielenden, die Barrieren aufzuzeigen können. Nur wir können wirklich einschätzen, was für uns funktioniert und was nicht. Und nur, wenn wir das auch äußern, kann daran gearbeitet werden.

Welche Vorteile siehst du für Menschen mit Behinderung? Welche Nachteile?

Gaming verbindet auf sehr unterschiedliche Weise. Ich spiele zum Beispiel gar nicht so gerne (online) mit oder gegen andere, sondern viel lieber Einzelspieler-Spiele. Ich tausche mich gerne mit anderen, die auch dieses Spiel spielen oder gespielt haben, über ihre Erfahrungen aus. Andere haben großen Spaß daran, in einer Gruppe zu spielen. Das bringt Menschen natürlich auch zusammen und fördert kommunikative Fähigkeiten und soziale Kompetenzen. Zudem ist es für uns Menschen mit Muskelerkrankungen ja auch immer gut, die Restkraft zu nutzen, um sie noch lange zu erhalten. Ein Spiel spielen und damit die Finger beweglich zu halten, macht viel mehr Spaß als Physiotherapie. Wir sollten uns aber nicht zu sehr vom Spiel fesseln lassen und über unsere Grenzen gehen, das kann den Muskeln auf Dauer mehr schaden als helfen.

Welche Barrieren sind für Menschen mit Behinderung beim Gamen zu überwinden?

Ich gebe jetzt nur ein paar Beispiele für Barrieren, die für muskelkranke Menschen auftreten können. Alles andere würde zu weit führen. Ein Klassiker ist das sogenannte Button-Mashing. Hierbei muss eine Taste über eine gewisse Zeit sehr oft und sehr schnell gedrückt werden. Das kann unsere Muskeln schnell ermüden lassen oder wir können schon gar nicht schnell genug drücken. Eine weitere Barriere ist, wenn eine Taste über längere Zeit gedrückt gehalten werden muss. Auch das kann zu schneller Ermüdung der Muskeln führen oder sie (schmerzhaft) verkrampfen lassen. Komplexe Eingaben können auch problematisch sein, wenn beispielsweise mehrere Tasten gleichzeitig gedrückt werden müssen. Ich spiele mehr oder weniger nur mit zwei Fingern, soll ich vier Tasten gleichzeitig bedienen, habe ich keine Chance. Komplexe Eingaben können aber auch bedeuten, dass für sehr viele verschiedene Aktionen immer andere Tasten benötigt werden. Bei eingeschränkter Reichweite ist es dann unter Umständen nicht möglich, jede dieser Tasten zu erreichen und somit können bestimmte Aktionen im Spiel nicht oder nur sehr mühsam durchgeführt werden.

Welche technische Zusatzausstattung gibt es für Menschen mit körperlicher Behinderung?

Zusatzausstattung „von der Stange“ gibt es gerade noch wenig. Es gibt den Xbox Adaptive Controller, der sowohl an Xbox-Konsolen, als auch an Windows-PCs genutzt werden kann. Der Controller dient als eine Art Anschluss-Box an die Taster und Joysticks. Dort können nach dem persönlichen Bedarf angeschlossen werden. Er kann alleine oder ergänzend zu einem Standardcontroller genutzt werden. Bei guter Kopf- und Mundbeweglichkeit ist auch der QuadStick eine gute Ausstattung. Dies ist ein Mundjoystick mit drei Röhrchen, über die durch saugen und blasen unterschiedliche Eingaben getätigt werden können. Der QuadStick kann mit Ausnahme der PlayStation 5 relativ unkompliziert an allen Konsolen und auch am PC genutzt werden.

Welches ist dein Lieblingsspiel?

Das ist eine Frage, die ich eigentlich nie so richtig beantworten kann. Ein Lieblingsspiel im Sinne von „spiele ich immer wieder“, habe ich nicht. Es gibt aber Spiele, die auf persönlicher Ebene eine Bedeutung für mich haben. Zum Beispiel das eingangs erwähnte Action-Spiel, welches mich zum Gaming zurückgeholt, aber auch zum Aktivismus gebracht hat. HyperDot ist auch ein Spiel, das mir am Herzen liegt. Dieses Spiel wurde von einem Einzelnen entwickelt, der kopfüber in das Thema Barrierearmut gesprungen ist und mit kleinen Mitteln viel herausgeholt hat.

Was möchtest du den Lesern noch sagen?

Wir sollten uns nicht davon abhalten lassen, was andere denken, was wir können. Wenn ihr Lust darauf habt zu spielen, probiert es aus. Vielleicht funktioniert nicht jedes Spiel für euch, vielleicht ist nicht jedes System das richtige für euch, aber inzwischen gibt es durch Software und Hardware viele Möglichkeiten und für viele von euch lässt sich das passende Setup finden.