01.03.2022

Resilienz - eine Einführung in ein populäres Konzept

DGM-Newsletter 01/2022

Persönliche Resilienz, gesellschaftliche Resilienz, Resilienz im Alter, betriebliche Resilienz… all das sind Begriffe, die in den letzten Jahren in der Alltagspsychologie sehr präsent sind. Dabei entstammt die Idee der persönlichen Resilienz ursprünglich der Physik, und nicht der Psychologie. Als resilient werden dort Werkstoffe bezeichnet, die gleichzeitig elastisch-flexible und formstabile Eigenschaften aufweisen („resiliere“ heißt aus dem Lateinischen übersetzt: zurückspringen, abprallen). Das resiliente Material besitzt ein Formgedächtnis, das sich auf Druck als beweglich darstellt, nicht zerbricht und sich – nach Abzug der starken Energie – zurückbewegt in den ursprünglichen Zustand. Als exemplarisches Beispiel dient die Eigenschaft eines Flugzeugflügels während des Fluges. Der Flügel muss die enormen äußeren Einflüsse (Druck, Wind, Gewicht etc.) ausbalancieren, seine Stabilität beibehalten und nach der Landung in seine Ursprungsform zurückfinden. Auch die Gesundheitstechnik bedient sich resilienter Materialien aufgrund der hohen Elastizität mit gleichzeitiger Stabilität, z.B. der Nickel-Titan-Legierung für Implantate in der Kardiologie.

Diese Merkmale beschreiben sehr treffend die Herausforderungen an die psychische Resilienz: die Balance zu halten zwischen innerer Stabilität und Beständigkeit (die innere Widerstandskraft als Kern der Materie) versus Notwendigkeit zu Anpassung und Veränderung in Krisenzeiten (unter dem Einfluss äußerer Energie). In der modernen Resilienz-Forschung existieren dementsprechend variierende Definitionen zur Resilienz. Je nach Blickwinkel wird entweder mehr Wert auf die persönliche Stärke an sich, auf das prozessuale innere Wachstum oder auf die geglückte Überwindung einer Krisensituation gelegt.

Zur lebenspraktischen Beschreibung von Resilienz dient ein aktuelles Zitat von Dr. Ruth Westheimer, einer deutsch-amerikanischen Soziologin und Sexualtherapeutin: „Und da ist mir klargeworden, was der Grund dafür ist, dass es allen, die mit mir im Heim waren, so gut ging: Alle sind wie ich in meinen ersten zehn Jahren bei einer liebenden Familie aufgewachsen.“ [1] Westheimer beschreibt einen der wichtigsten Resilienzfaktoren: die Einbindung in soziale Bezüge. Getragen von Vertrauen, Zuwendung, Freundschaft und einem Gefühl der Geborgenheit innerhalb eines Netzwerkes, bildet die Einbindung die Kernsubstanz der Resilienz.

Diese grundlegenden Werte, kombiniert mit persönlichem Talent, Kreativität, Optimismus und Pragmatismus, haben Ruth Westheimer geholfen, ein erfülltes und bewegtes Leben zu führen. Es ist ihr gelungen, ihre traumatischen Erlebnisse (Holocaust, Emigration und Verlust der jüdischen Ursprungsfamilie) zu verarbeiten und sich beständig weiter zu entwickeln.

Genau dieser Effekt wird im Resilienz-Gedanken abgebildet. Es geht um den Erhalt, die Wiederherstellung und Weiterentwicklung der psychischen Gesundheit während des gesamten Lebensverlaufes. Deutlich wird hierbei der aktive, dynamische Prozessverlauf: das Leben besteht aus unterschiedlichen Phasen mit unterschiedlichen Stressbelastungen. Jede Episode verlangt nach ihrer eigenen Bewältigungsstrategie und ihren eigenen Selbstschutzmechanismen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Resilienz als seelische Widerstandskraft kein feststehendes Persönlichkeitsmerkmal darstellt und nicht ausschließlich einer genetischen Veranlagung zu Grunde liegt.

Es handelt sich vielmehr um eine immer wieder „neu abrufbare Kraft zur Bewältigung der aktuellen, individuellen Lebenskrise.“ [2] Hierin liegt die große Chance der Resilienz: sie lässt sich aneignen wie ein (Krisen-) Muskel und mit passenden Methoden entwickeln und aufbauen. Das verlangt Selbstreflexion, den inneren Antrieb zur Beschäftigung mit den eigenen Ressourcen und die Bereitschaft zum regelmäßigen Trainieren der Methoden.

Die wichtigsten Resilienzfaktoren innerhalb des Resilienz-Konzeptes stellen die Bausteine Einbindung, Verantwortung, Optimismus und Akzeptanz dar. Die Einbindung beschäftigt sich mit dem Zugang zu den eigenen und sozialen Ressourcen und Stärken. Thema der Verantwortung sind die Selbst- und Fremdfürsorge. Der Optimismus fragt nach der inneren Motivation, der Vision und Volition. Das Beste aus den gegebenen Optionen zu machen [3], steht hier im Vordergrund. In der Akzeptanz geht es vorrangig um das Loslassen, das Aushalten und das Annehmen des Unvermeidbaren. Und manchmal gilt es, lapidar wie Ruth Westheimer zu sagen: „Ach, so isses eben.“ [4]

Eine der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Resilienz startete in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Emmy Werner, eine amerikanische Entwicklungspsychologin mit Lehrauftrag an der Universität von Kalifornien, forschte mit ihrem Team zur Frage nach den Voraussetzungen mentaler Stärke. In der sogenannten Kauai-Studie [5] wurde festgestellt, dass sich Kinder trotz zahlreicher Risikofaktoren positiv entwickeln, wenn sie liebevoll unterstützt und verlässlich begleitet werden. Auch hier gilt die These: Bindung schafft Resilienz. Ruth Westheimer dazu: „Ich glaube, dass das [mentale Kraft haben – Anmerkung der Autorin] alles damit zu tun hat, dass ich so eine gute Kindheit gehabt habe. Das hat mich gestärkt…“ [6]

Ähnliches lässt sich in Antonovskys Konzept der Salutogenese [7] finden. Zur Gesundwerdung und Gesunderhaltung bedarf es sozialer Beziehungen, gegenseitiger Unterstützung und Optimismus. Nur dann kann sich ein Gefühl von Stimmigkeit sowie Sinnhaftigkeit im Denken, Fühlen und Handeln, die sog. Kohärenz, entwickeln. Ergänzend hierzu beschreibt das Konzept der Selbstwirksamkeit von Bandura [8] folgendes: Der Glaube daran, bestimmte Situationen aufgrund der eigenen Kompetenzen und Stärken bewältigen zu können, sorgt für mentale und kognitive Entwicklungserfolge. Basis für dieses tiefe Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit bildet auch hier die positive Bindung an eine Bezugsperson. Die aktuelle neurobiologische Forschung unterstellt, dass nicht psychische, stressassoziierte Erkrankungen, sondern Resilienzen gegenüber Krisen und Widrigkeiten der Regelfall sind [9]. Daher stehen in einem interdisziplinären Ansatz der führenden Resilienzforschungen schwerpunktmäßig die natürlichen Schutzmechanismen und präventive Interventionen im Fokus [10].

Übertragen auf die heutige, höchst komplexe Lebenswirklichkeit mit gesamtgesellschaftlichen und persönlichen Herausforderungen (z.B. Corona-Krise, Klimawandel, Digitalisierung) wird die Notwendigkeit resilienter Lebensführung immer drängender. Gefordert sind entsprechendes Agieren und Reagieren, maßvolle Anpassung und eine Ziel-Neudefinierung. Dazu bedarf es der persönlichen und gesellschaftlichen Widerstands- und Reaktionsfähigkeit, mit direktem Zugang zu den eigenen Ressourcen und Kraftquellen. Diese Kraftquellen können durch das passende Resilienz-Training gestärkt und stabilisiert werden. Erklärtes Ziel dieses Trainings ist der Aufbau einer individuellen Krisen-Resistenz, um mit Stresssituationen gelassen und flexibel umgehen zu können. Insofern geht es bei der Resilienz nicht um emotionale Abwehr, Gleichgültigkeit oder Apathie, sondern vielmehr um eine Rückbesinnung auf die mentale und psychische Stabilität.

Auch die Selbsthilfe bietet einen großen Raum für Resilienzerfahrung. Das Engagement, das Miteinander, die Übernahme von Verantwortung, sowie die Wissenserweiterung und der Kompetenzgewinn sind wesentliche Faktoren in der Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Alle Bausteine der Resilienz finden sich im Wirken der Selbsthilfe wieder. Die hohe Sinnhaftigkeit (Kohärenz), Agieren im Netzwerk und die Förderung der Gesundheitskompetenz sind wesentliche Erfolgsfaktoren in der Übung der Resilienz. Die Studie über Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland – Entwicklungen, Wirkungen, Perspektiven (SHILD-Studie) [11] unterstreicht die positiven Effekte. In den Bereichen Bewältigung, Motivation, Zuversicht, Verantwortung, Information, Selbstfürsorge sowie Selbstsicherheit berichten Selbsthilfegruppen-Mitglieder über ihre Lern- und Entwicklungsveränderungen. Das ist gelebte Resilienz.

Autorin: Stefanie Sproß

[1] Westheimer, Ruth: Ich verschwende meine Zeit nicht ans Hassen. In: ZEIT Nr. 1, 30. Dezember 2021, S. 20. Hamburg 2021.
[2] Sproß, Stefanie: Meiner Familie meine Liebe schenken – Resilienz für den Alltag, S. 57. Ruppichteroth 2019.
[3] Vgl. Sproß, Kira: „dass man versucht, das Beste daraus zu machen“. In: Sproß, Stefanie, siehe oben, S. 47.
[4] Westheimer, Ruth, siehe oben, S. 19.
[5] Vgl. Berndt, Christina: Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft, S. 65ff. München 2018.
[6] Westheimer, Ruth: siehe oben, S. 20.
[7] Vgl. Antonovsky, Aaron: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen 1997.
[8] Vgl. Bandura, Albert: Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart 1979.
[9] Vgl. Tüscher, Oliver et al.: Resilienz – Konzepte, Theorien und Relevanz in der COVID-19-Pandemie. In: Nervenheilkunde 4/2021, S. 222ff. Stuttgart 2021.
[10] Mehr wissenschaftliche Informationen sind über das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz, https://lir-mainz.de/home, zu finden.
[11] UKE: SHILD – Studie – Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland, Hamburg 2018. Zu finden unter: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Pr.... Aufgerufen am 3. Januar 2022.