02.05.2022

Praktische Hinweise für das Narkose-/Anästhesie-Management von Patienten mit Myotoner Dystrophie Typ 1

DGM-Newsletter 02/2022

Originale Version zur Verfügung gestellt durch die Myotonic Dystrophie Foundation, Oakland, USA.
Ins Deutsche übersetzt und an die deutsche Situation ergänzt und angepasst durch: Dr. Cornelia Dreßler, Prof. Dr. med. Benedikt Schoser

Freiburg und München, April 2022

Risiken vor und während der Vollnarkose

Risiken vor und während der Anästhesie ergeben sich aus den multisystemischen Organbeteiligung der Myotonen Dystrophie.

  • Unberechenbare Reaktionen rechtfertigen die Vermeidung von Succinylcholin.
  • Es sollten keine sog. depolarisiernden Muskelrelaxantien zur Narkoseeinleitung eingesetzt werden.
  • Das Risiko einer echten malignen Hyperthermie-Reaktion geht nicht über das allgemeine Risiko der Bevölkerung hinaus.
  • Herzrhythmus und Leitungsstörungen müssen engmaschig überwacht werden.
  • Atemversagen und schlechter Schutz der Atemwege erfordern eine aufmerksame Überwachung und Unterstützung.
  • Gastrointestinale Dysmotilität erfordert eine sorgfältige Überwachung.

Risiken nach der Vollnarkose

Nach einer Vollnarkose spiegeln mögliche Komplikationen eine erhöhte Empfindlichkeit und verlängerte Interaktion von Sedativa und Analgetika mit verschiedenen Aspekten der Myotonen Dystrophie wider.

Zu den resultierenden klinischen Wirkungen von Sedierung und Analgesie gehören:

  • Reduzierter Bewusstseinsgrad
  • Beeinträchtigte Atemfunktion
  • Erhöhte pharyngeale Dysfunktion und Aspiration
  • Erhöhte gastrointestinale Dysmotilität

Die Risiken können durch sorgfältiges und nachhaltiges Monitoring erfolgreich gemindert werden.
 

Allgemeine Probleme des Narkosemanagement

Die Anästhesiebehandlung von Patienten mit Myotoner Dystrophie Typ 1 (Dystrophia myotonica oder DM1) kann herausfordernd sein. Vor diesem Hintergrund sollten alle Verfahren, die eine Anästhesie erfordern, von Patienten, ihren Familien und ihren Ärzten ernsthaft in Betracht gezogen werden, um festzustellen, ob sie wirklich notwendig sind. Einzelheiten über die potenziellen Probleme verdienen eine Diskussion, insbesondere bei Patienten mit Myotoner Dystrophie Typ 1 (DM1) in Bezug auf die Krankheitsform (angeboren; Kindheit; Beginn im Erwachsenenalter) und die Art der erforderlichen Anästhesie (lokale, regionale, spinale, allgemeine oder andere Kombinationsanästhesieprotokolle). Grundsätzlich gelten die hier vorgestellten Aspekte zu Narkose auch für die Myotone Dystrophie Typ 2 (PROMM), aber prinzipiell ist hier das Narkoserisiko deutlich geringer.

Im Folgenden sind einige der wichtigsten Managementfragen aufgeführt, die der Anästhesist berücksichtigen sollte, wenn er einen Patienten mit DM betreut:

1. Allgemeines:
Myotone Dystrophie wurde aufgrund ihrer einzigartigen Auswirkungen auf die Skelettmuskulatur identifiziert, es wurde jedoch später gezeigt, dass es zu direkten Auswirkungen auf die meisten Organe kommt, einschließlich des ZNS, der Augen, Herz, endokrine, GI- und Lungensysteme. Zwei genetische Formen der Myotonen Dystrophie wurden identifiziert: DM1 (Morbus Steinert) und DM2 (PROMM, proximale Myotone Myopathie).

DM1-Patienten umfassen alle Altersgruppen, Patienten mit DM2 sind im Erwachsenenalter und haben im Allgemeinen weniger schwere Symptomatologie als DM1-Patienten (26, 29). In den angeborenen und kindlichen Formen von DM1 haben Patienten oft ein schmales Gesicht, einen hochgewölbten Gaumen und eine eingeschränkte Fähigkeit, ihren Mund vollständig zu öffnen (24, 30), was die Intubation potenziell erschwert. Diskussion der Intubationsverfahren zusammen mit den Fragen im Zusammenhang mit dem sicheren Management vor und nach der Anästhesie in einem Krankenhaus machen ein Setting mit Pflegepersonal, das Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit DM1 hat, erforderlich. Spezielle Überlegungen können auch bei der Planung einer Anästhesie für Schwangerschaft/Geburt von Müttern mit DM1 (31) und für Verfahren im Zusammenhang mit der In-vitro-Fertilisation (32) erforderlich sein.

2. Muskel:
Myotonie ist eine Muskeldekontraktionhemmung mit anhaltender abnormaler Muskelanspannung (3). Die Myotonie kann durch Medikamente, Kalium, Unterkühlung, Schüttelfrost und alle mechanischen oder elektrischer Reize (2, 3, 4) verschlimmert werden. Patienten mit DM zeigen auch Muskelschwäche unterschiedlichen Schweregrades basierend auf der Muskelatrophie und -degeneration.

3. Medikamente:
DM1-Patienten reagieren außerordentlich empfindlich auf die atemdepressiven Wirkungen von DM1 Analgetika und Anästhetika (3). Wenn möglich, sollen Alternativen zu Opioiden und regionalen Techniken mit örtlicher Betäubung eingesetzt werden. Wenn Opioide verabreicht werden (systemisch oder intrathekal), dann sollte Aufgrund des hohen Risikos von Atemdepression und Aspiration eine kontinuierliche Pulsoximetrie/Kapnometrie und möglicherweise eine Versorgung auf Intensivstationsebene in Betracht gezogen werden. Die Auswirkung von Succinylcholin auf die Muskulatur sind bei DM1-Patienten unvorhersehbar und kann zu Hyperkaliämie führen, so dass diese vermieden werden sollte. Es sollten keine sog. depolarisiernden Muskelrelaxantien zur Narkoseeinleitung eingesetzt werden.

4. Atemwege:
Die Schwäche der Rachenmuskulatur und eine verzögerte Magenentleerungszeit prädisponieren DM Patienten zur Aspiration (3, 21).

5. Atmung:
Die Schwäche der Atemmuskulatur prädisponiert DM-Patienten für eine restriktive Lungenerkrankung mit gleichzeitiger Dyspnoe und ineffektivem Husten (3). Darüber hinaus sind häufige arterielle Hypoxämie und eine verminderte Atmungsantwort auf Hypoxie und Hyperkapnie häufige Assoziationen (3). DM1-Patienten sind besonders gefährdet für postoperative Atelektase und Pneumonie sowie respiratorische Insuffizienz, die eine verlängerte Beatmung erfordern.

Eine verminderte Vitalkapazität präoperativ dient als wichtige Warnung, dass Lungenspezialisten und Spezialisten auf der Intensivstation Teil des unten genannten Teams sein müssen, um das Atmungssystem zu beurteilen und eine angemessene postoperative Versorgung zu planen.

6. Herz:
DM-Patienten können kardiale Anomalien aufweisen, insbesondere ein AV-Block, die infolge von kardialen Reizleitungsverzögerungen und Arrhythmien zum plötzlichen Tod führen können (3, 6). Aufgrund der Prävalenz und fortschreitenden Natur von Leitungsstörungen sollte bei allen DM-Patienten jährlich ein EKG und ggf. eine Langzeit-EKG angefertigt werden.

Vor Verabreichung der Anästhesie sollte ein EKG wiederholt und alle internen Herzrhythmusgeräte abgefragt werden. Wenn Anamnese und körperliche Untersuchung darauf hinweisen, kann eine präoperative Holter-Monitor-Untersuchung oder ein Echokardiogramm gerechtfertigt sein.

7. Zentralnervensystem:
Hypersomnie ist eine häufige und manchmal primäre Manifestation von DM. Sie kann aus einer Kombination von Narkolepsie-ähnlicher zentraler Hypersomnie, schlafbezogener Ateminsuffizienz, obstruktiver Schlafapnoe und periodischen Beinbewegungen im Schlaf resultieren, die jeweils zu mehreren Behandlungsschwierigkeiten nach der Anästhesie führen können, einschließlich verlängerter Enzephalopathie. Potentiell starker Schlafentzug kann viele der oben erwähnten multisystemischen Merkmale von DM verschlimmern.
 

Probleme des präoperativen Managements

1. Multidisziplinäres medizinisches Team:
Es ist gut dokumentiert, dass die medizinische und chirurgische Behandlung von Patienten mit DM herausfordernd und komplikationsreich sein kann (1, 3, 4, 6, 21). Aus diesen Gründen sollte die Koordinierung der prä- und postoperativen Behandlungspläne 1-4 Wochen vor elektiven Eingriffen durch ein multidisziplinäres medizinisches Team erfolgen.

Dieses Team besteht idealerweise aus dem Neuromuskulären Spezialisten, dem Hausarzt, dem Chirurgen und dem Anästhesisten sowie, falls indiziert, einem Pneumologen und Kardiologen. Eine Bewertungsskala für Muskelbeeinträchtigungen (MIRS) kann hilfreich sein, da sich gezeigt hat, dass sie prädiktiv für perioperative unerwünschte Ereignisse ist (25).

2. Präanästhesie-Bewertung:
Zusätzlich zu einer umfassenden präoperativen Bewertung, die vom neuromuskulären Spezialisten, Kinderarzt/Hausarzt (PCP), Lungen- oder Kardiologen des DM-Patienten durchgeführt wird (basierend auf dem Schweregrad der kardiopulmonalen Manifestationen) sollte zusammen mit einem Anästhesisten vor der Operation eine sorgfältige und detaillierte präanästhetische Untersuchung durchgeführt werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Anästhesist dem kardiopulmonalen System widmen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass DM-Patienten in der Vorgeschichte Hypoxie, Dyspnoe, Schlafapnoe, die CPAP erfordert, oder eine ausgeprägte Schwäche der Atemmuskulatur, die BIPAP erfordert, haben. Es gibt auch die potenzielle Schwierigkeit des Zugangs zu den Atemwegen aufgrund eines schmalen Gesichts, eines hochgewölbten Gaumens und einer eingeschränkten Fähigkeit, den Mund zu öffnen, wie bereits erwähnt. Angesichts der anästhetischen Implikationen dieser Symptome ist eine Messung ihrer Schwere vor der Anästhesie gerechtfertigt. Eine spezifische Anamnese von Dysphagie, Dysarthrie, Dysphonie und Aspiration sollte ebenfalls als Hinweis auf eine Pharynxbeteiligung angesprochen werden.

Die Wirksamkeit des Hustens und die Vertrautheit mit dem Hustenunterstützungsgerät und der BIPAP-Maske vor der Operation ist sehr wichtig, um eine erfolgreiche postoperative Versorgung sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen mit DM1 sicherzustellen, insbesondere Menschen mit verminderter Vitalkapazität sowie Schwierigkeiten mit der Pharynxfunktion; wenn möglich, sollte die patienteneigene BIPAP-Maske für die postanästhetische Verwendung zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollten weitere Befragungen jede Vorgeschichte von Herzleitungsstörungen, Arrhythmie, Herzinsuffizienz und das Vorhandensein eines internen Herzrhythmus-Managementgeräts bewerten.

3. Konsultationen:
Basierend auf den präoperativen Untersuchungen und Beurteilungen kann eine präoperative Konsultation durch einen Kardiologen und Pneumologen von Vorteil sein. Angesichts der Prävalenz von Leitungsstörungen wird immer ein präoperatives 12-Kanal-EKG empfohlen; ein Echokardiogramm und eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs können in Betracht gezogen werden, und eine präoperative Überwachung des Herzrhythmus kann erforderlich sein, um das Vorhandensein einer Arrhythmie zu beurteilen. Darüber hinaus sollten alle internen Herzrhythmus-Management-Geräte vor dem Betreten des Operationssaals abgefragt (und möglicherweise neu programmiert) werden. Lungenfunktionstests vor der Anästhesie sind immer indiziert (idealerweise einschließlich der Vitalkapazität im Liegen und Sitzen) und arterielle Blutgase können nützlich sein.

4. Prämedikation:
DM-Patienten können äußerst empfindlich auf die atemdepressiven Wirkungen häufig verwendeter Prämedikation (z. B. Opioide und Benzodiazepine) reagieren. Es muss daher sichergestellt sein, dass vor der Verabreichung einer Prämedikation oder eines anderen Beruhigungsmittels geeignete Geräte zur Überwachung und Durchführung einer dringenden Intubation zur Verfügung stehen.

5. Regionalanästhesie:
Regional Anästhesietechniken wurden in der Literatur als erfolgreiche Primäranästhesie für DM-Patienten beschrieben (3, 22), da sie dazu beitragen können, einige der häufigen Komplikationen einer Allgemeinanästhesie zu vermeiden. Es gibt jedoch Fallberichte, die beschreiben, das Zittern ausreicht, um myotone Kontrakturen mit regionaler Anästhesie zu stimulieren, sowie unvollständige Blockaden bei Patienten mit DM (12, 13, 14).
 

Probleme des intra-operativen Managements

1. Umgebung:
Hypothermie und Zittern können eine myotone Kontraktur auslösen (2). Daher sollte der Operationssaal warmgehalten werden, damit der Patient besser in der Lage ist, eine normale Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Während der Operation sollten erwärmte IV-Flüssigkeiten sowie Umluftdecken verwendet werden.

2. Überwachung:
Verwenden Sie standardmäßige Monitore der American Society of Anesthesiologists (ASA), einschließlich eines Thermometers (3).

  1. Erwägen Sie das Anbringen eines externen Schrittmachers/Defibrillators am Patienten. DM-Patienten haben ein hohes Risiko für Arrhythmien und plötzlichen Tod (6).
  2. Erwägen Sie die Platzierung eines arteriellen Zugangs, um durch die Blutgasinterpretation die ausreichende Oxygenierung und Belüftung zu überprüfen und zur kontinuierlichen Blutdrucküberwachung.
  3. Überwachen Sie die neuromuskuläre Blockade mit einem peripheren Nervenstimulator, aber tun Sie dies mit Vorsicht: Der elektrische Stimulus könnte eine Myotonie hervorrufen und als Hinweis darauf fehlinterpretiert werden, dass die neuromuskuläre Blockade vollständig aufgehoben wurde (2).
  4. Eine invasive Herzüberwachung (TEE, PA-Katheter, ZVD-Leitungen) sollte DM-Patienten mit erheblicher kardiopulmonaler Dysfunktion vorbehalten bleiben. Die präoperative Beratung des Kardiologen und die Bewertung kann bei der Entscheidung helfen, ob diese Monitore eingesetzt werden sollen.

3. Einleitung der Narkose:
Etomidat, Thiopental und Propofol wurden alle sicher zur Einleitung der Anästhesie verwendet. Im Allgemeinen reagieren DM-Patienten empfindlicher auf diese Mittel und benötigen daher eine geringere Dosis. Die Zugabe von Lidocain zu Propofol zur Einleitung kann die Inzidenz schmerzinduzierter myotoner Kontrakturen reduzieren (27). DM-Patienten sind aufgrund ihrer Dysphagie und veränderten Magenmotilität einem Aspirationsrisiko ausgesetzt (21).

Erwägen Sie daher die Verabreichung von Natriumcitrat, einem H2-Antagonisten, und Metoclopramid vor der Einleitung. Eine schnelle Sequenzinduktion mit Krikoiddruck sollte in Erwägung gezogen werden. Allerdings gibt es Berichte in der Literatur über den erfolgreichen Einsatz von supraglottischen Atemwegen und/oder Maskenbeatmung allein, insbesondere bei Kindern (25).

Die Reaktion des DM-Patienten auf Succinylcholin ist unvorhersehbar und kann infolge einer übertriebenen Kontraktur, Masseterkrämpfe und Laryngospasmus zu einer schwierigen oder unmöglichen Intubation führen (2, 19, 20). Darüber hinaus kann die Anwendung von Succinylcholin bei schweren Erkrankungen zu einer Hyperkaliämie führen (9). Wenn möglich, sollte eine Trachealintubation ohne Muskelrelaxans versucht werden (9). Wird ein Muskelrelaxans benötigt, sollte ein nicht-depolarisierendes Mittel mit kurzem Erholungsindex gewählt werden (z. B. Rocuronium, Cis-Atracurium) (7). Das Kiefergelenk kann bei DM-Patienten dazu neigen, sich auszurenken, daher sollten Laryngoskopie und Kiefermanipulation durchgeführt werden sorgfältig ausgeführt (15).

4. Narkosedurchführung:
Flüchtige Wirkstoffe: DM-Patienten sind nicht anfälliger für die Entwicklung einer malignen Hyperthermie als der Rest der Allgemeinbevölkerung (16, 17). Flüchtige Anästhetika sind zur Aufrechterhaltung der Anästhesie wirksam, können jedoch die Kardiomyopathie eines Patienten als Folge ihrer myokarddepressiven Wirkung verschlimmern. Desfluran könnte das Mittel der Wahl sein, wenn man seinen theoretischen Vorteil eines schnelleren Austritts nach Abschluss der Operation berücksichtigt (3).

  1. Muskelrelaxation: Wenn möglich, vermeiden Sie Muskelrelaxantien vollständig und halten Sie die Akinesie mit tiefer inhalativer/intravenöser Anästhesie aufrecht, oder lassen Sie den Chirurgen das Skelettmuskelgewebe innerhalb des Operationsfeldes mit einem Lokalanästhetikum infiltrieren. Wenn eine weitere Muskelrelaxation erforderlich ist, verwenden Sie ein nicht-depolarisierendes Mittel und denken Sie daran, dass DM-Patienten eine übertriebene Reaktion zeigen werden. Daher sollten die Anfangsdosen reduziert und die nachfolgenden Dosen so titriert werden, dass sie über einen peripheren Nervenstimulator wirken (2).
  2. Intravenöse Wirkstoffe: In der medizinischen Literatur wurde eine sichere und wirksame Anästhesie mit Propofol und Remifentanil für eine totale intravenöse Anästhesie beschrieben (4, 5).
  3. Intravenöse Flüssigkeiten: Erwägen Sie die Verwendung von kristalloiden Flüssigkeiten ohne Zusatz von Kalium. DM-Patienten haben eine reduzierte Na+-K+-Pumpkapazität und können anfällig für die Entwicklung einer Hyperkaliämie sein (10). Es gibt keine offensichtliche Kontraindikation für die Verwendung von Kolloiden.

5. Notfall:

  1. Umkehrmittel: Neostigmin soll Myotonien auslösen (18). Allerdings sind die Risiken einer Restmuskelrelaxation bei dieser Patientengruppe erheblich. Die Anwendung von Muskelrelaxans ohne Umkehrung erwies sich als unabhängiger Risikofaktor für ein unerwünschtes perioperatives Ereignis (25, 26). Daher sollte eine Umkehr in Betracht gezogen werden, wenn nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien verwendet werden; Sugammadex wurde komplikationslos zur Aufhebung der Muskelblockade bei DM-Patienten eingesetzt (26).
  2. Extubation: Aufgrund der multisystemischen Wirkungen von DM (kardiopulmonale Pathologie, schwere periphere Schwäche, veränderte Magenmotilität, Pharynxschwäche mit schlechtem Schutz der Atemwege, erhöhte Empfindlichkeit gegenüber allen Anästhetika) halten Sie sich an strenge Extubationskriterien. Diese Patienten benötigen möglicherweise postoperativ für mehrere Tage oder länger eine unterstützende mechanische Beatmung. Wenn Bauchdehnung und/oder starke postoperative Schmerzen wahrscheinlich sind, werden diese Probleme die präoperative Schwäche des Hustens und der Atemmuskulatur verschlimmern. Die Aufrechterhaltung der postoperativen Beatmung kann die effektive Genesung beschleunigen und die Schmerzbehandlung verbessern. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko für Apnoe mit verzögertem Beginn und Tod nach der Extubation während der unmittelbaren 24 Stunden nach der Operation und sogar noch länger, wenn postoperative Anxiolytika, Sedativa oder Opioid-Analgetika verabreicht werden. Während dieser Zeit ist eine engmaschige und kontinuierliche Überwachung der kardiopulmonalen Funktion (SpO2 und EKG) erforderlich.
     

Postoperative Managementprobleme

Die Aufnahme auf die Intensivstation (ITS) zur postoperativen Behandlung sollte angesichts der erheblichen Komplikationen, die als Folge von DM auftreten können, in Betracht gezogen werden. Zumindest sollten die Patienten postoperativ nach einer Endotrachealanästhesie mit kontinuierlicher Pulsoximetrie und EKG über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden überwacht werden. Nachfolgend finden Sie spezifische Punkte, die diese Empfehlungen unterstützen:

1. Schmerzkontrolle:
Erwägen Sie die Verwendung von Regionalanästhesie, NSAIDs und Paracetamol zur postoperativen Schmerzkontrolle. Wenn diese Medikamente/Modalitäten kontraindiziert sind, muss die Anwendung von Opioiden mit Vorsicht und aufmerksamer Überwachung erfolgen. Die außerordentliche Empfindlichkeit von DM-Patienten gegenüber den atemdepressiven Wirkungen von Opioiden (systemisch oder intrathekal, regional) hat in der postoperativen Phase zu tödlichen Folgen geführt. Der häufigste Weg der Opioidverabreichung, der DM-Patienten einem hohen Risiko für Atemdepression aussetzt, ist intravenös. Analgesie kann bei DM-Patienten mit epiduraler Opioidgabe sicher erreicht werden (11), aber selbst mit einer kleinen Dosis von epiduralem Morphin kann es zu einer Atemdepression kommen (8). Darüber hinaus verschlimmern Opioide die DM-eigene gastrointestinale Parese und erhöhen das Risiko von Reflux, Aspiration und zusätzlicher Beeinträchtigung der Atmung durch Meteorismus oder Pseudoobstruktion.

2. Pulmonale Überlegungen:
In einer retrospektiven Analyse von 219 DM1-Patienten, die unter Vollnarkose operiert wurden, Mathieu et al. fanden heraus, dass die meisten perioperativen Komplikationen mit der Atmung in Zusammenhang standen (1). Besonders gefährdet waren DM1-Patienten, die symptomatisch waren, sich einer Oberbauchoperation unterzogen oder schwere Muskelbehinderungen hatten. Bei diesen Patientengruppen werden eine postoperative Überwachung, eine intensive Atemtherapie und eine Spirometrie empfohlen (1). Apnoe mit verzögertem Beginn entwickelt sich am wahrscheinlichsten in den ersten 24 Stunden nach der Operation, und eine Exazerbation der anfänglichen Hypersomnie könnte sichtbar werden. Eine Intensivstation ist möglicherweise am besten für die Erkennung und Behandlung dieser Komplikationen geeignet

Zusammenfassung

  • Führen Sie eine umfassende präoperative Untersuchung mit einem multidisziplinären medizinischen Team durch
  • Verwenden Sie gegebenenfalls eine Regionalanästhesie, entweder allein oder zur Reduzierung der Vollnarkose
  • Vermeiden Sie oder seien Sie vorsichtig mit Prämedikationen (Anxiolytika, Beruhigungsmittel und Opioide).
  • Halten Sie den Patienten warm
  • Erwägen Sie die prophylaktische Anwendung von Defibrillator-/Schrittmacherelektroden
  • Seien Sie bei der Einleitung der Anästhesie auf die hohe Wahrscheinlichkeit einer Aspiration und anderer Atemwegskomplikationen vorbereitet. Vermeiden Sie Succinylcholin.
  • Strenge Extubationskriterien einhalten. Angesichts der Auswirkungen von DM auf die Atmung sollten Sie den Patienten und seine Familie auf die Notwendigkeit einer unterstützenden mechanischen Beatmung vorwegnehmen und vollständig darauf vorbereiten, bis die Extubationskriterien eindeutig erfüllt sind, oft nachdem der Patient bei vollem Bewusstsein ist
  • Wenn eine verlängerte nicht-invasive Beatmungsunterstützung erwartet wird, beispielsweise nach einer Thorax- oder Abdominaloperation, beginnen Sie präoperativ mit der BiPAP-Unterstützung und halten Sie das BiPAP des Patienten für die Verwendung nach dem Eingriff bereit
  • Planen Sie eine kontinuierliche SpO2- und Kapnographie-, und EKG-Überwachung nach der Operation ein, bis der Patient den präoperativen Status vollständig wiedererlangt
  • Bewältigen Sie postoperative Schmerzen mit NSAIDs, regionalen Techniken und gegebenenfalls Paracetamol. Verwenden Sie Opioide mit äußerster Vorsicht
  • Ermutigen Sie postoperativ zu einer aggressiven Lungentoilette, falls erforderlich unter Verwendung eines mechanischen Hustenhilfsgeräts. Das präoperative Training mit einer Hustenhilfe kann den Einsatz in der postoperativen Phase erleichtern.

Addendum 1:

Liste der Autoren:
Marla Ferschl, MD, Richard Moxley, MD, John W. Day, MD, PhD, Michael Gropper, MD, PhD.

Danksagungen:
Wir danken Neal Campbell, MD, und Barbara Brandom, MD, für ihre Beiträge zur ursprünglichen Version dieses Dokuments, die wir überarbeitet und aktualisiert haben.

Addendum 2:

Referenzen:
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