10.06.2023

Gipfeltreffen der CMT-Spezialisten in Paris

Wie auch viele andere neuromuskuläre Krankheiten, die in der DGM ihre Patientenorganisation gefunden haben, gehört auch die CMT/HMSN zu den seltenen Krankheiten, ja sie ist mit einer Prävalenz von 2500 : 1 und vermutlich einer hohen Dunkelziffer sogar eine der häufigsten seltenen Krankheiten. Freilich, hier ein Medikament zu entwickeln, interessiert die große Industrie wenig, denn anders als bei Covid-19 ist damit kein großes Geld zu machen. Gelder für die CMT-Forschung freizugeben, ist bisher auch für die Politik nicht interessant, denn niemand kennt ja diese Krankheit. Warum schließlich sollten junge Wissenschaftler dieses Forschungsfeld wählen, wenn es eigentlich keinen interessiert – außer wenn man selbst betroffen ist.

CMT/HMSN wurde vor knapp 140 Jahren erstmals von den Franzosen Jean-Marie Charkow und seinem Schüler Pierre Marie vom Hôpital de la Salpêtrière in Paris und dem Briten Howard Henry Tooth beschrieben. Trotzdem, eine kausale Therapie gibt es für die zahlreichen Typen der CMT bis heute nicht. Das ist der Grund, warum wir darüber nachgedacht haben, wie man in die Forschung zu CMT neuen Schwung bringen kann. Und der Schlüssel könnte die Verbindung von drei Stichworten oder Ansätzen sein: Strukturierte Kooperation, Zugang zu den Patientendaten, und Mobilisierung der Patienten – dies aber nicht auf Deutschland beschränkt, sondern europäisch organisiert, mit einer Verbindung in die USA und den Rest der Welt.

Patienten rufen CMT Spezialisten zu einer Konferenz

Warum soll die Initiative nicht einmal von den Patienten ausgehen. Sie sind es doch, die unter der Krankheit leiden und eines Tages von einem Heilmittel profitieren werden. Auch hier aktiv zu werden, kann Selbsthilfe sein, was doch das Ziel der Gründung und seit Jahren Gegenstand der Arbeit der DGM ist.
Im Jahre 2020 ist die DGM der European CMT Federation (ECMTF) beigetreten, vertreten durch den Vorsitzenden der CMT/MSN-Gruppe in der DGM, Ingolf Pernice. Über die Fortführung der schon seit fünf Jahren durchgeführten Sensibilisierungskampagnen hinaus hat er mit dem Präsidenten der ECMTF, Daniel Tanesse, als großes neues Ziel der ECMTF die Veranstaltung einer Konferenz zur Umsetzung dieses neuen Ansatzes vereinbart. In Form der

1st European CMT Specialists‘ Conference am 9.-10. Juni 2023 in Paris

wurde dieser Gedanke nach knapp zwei Jahren Vorbereitungsarbeit zur Realität. Rund 100 Teilnehmer aus Europa, den USA, Israel, Korea und Australien, darunter über 60 führende CMT-Forscher als Referenten und Diskutanten, 10 Nachwuchswissenschaftler mit Postern zu ihren Projekten, rund 20 Vertreter der europäischen und drei Vertreter der drei großen amerikanischen Patientenorganisationen sowie rund 10 Vertreter an CMT interessierter Unternehmen als „industrielle Partner“ kamen dafür in Paris zusammen. Da wurden im ersten – wissenschaftlichen - Teil der Stand und die Zukunftsperspektiven der CMT-Forschung erörtert; dann am zweiten Tag ging es im strategischen Teil der Konferenz darum, neue Wege zum gemeinsamen Ziel zu entwickeln: Therapien für die diversen Formen der CMT.

Was ist neu?

Das Neue an der Konferenz war, dass nicht nur Wissenschaftler, sondern alle relevanten „stakeholder“, also Grundlagenforscher, Kliniker und Therapeuten auf der einen Seite und Vertreter der Patienten, der Industrie und der Politik, andererseits, als Partner aktiv beteiligt waren. Die strukturierte Verbindung der Expertise aller Partner verspricht bisher nicht gekannte Synergien im Sinne einer zirkulär anreichernden Erkenntnis der verschiedenen Perspektiven, ohne die eine so komplexe Krankheit wie die CMT kaum erfolgreich angegangen werden kann.

Das Thema der seltenen Krankheiten steht in der EU schon seit über 20 Jahren auf der Agenda, 2021 wurde es Priorität der EU-Ratspräsidentschaft. Unser Anspruch ist es, zwar begrenzt auf CMT, aber doch als Modell für andere seltenen Krankheiten jetzt, wenn schon keine „Zeitenwende“ einzuleiten, so doch gemäß den Stichworten strukturierte Kooperation, Zugang zu den Daten und Mobilisierung der Patienten einen starken neuen Impuls für die medizinische Forschung auf diesem Gebiet zu geben.

Und das Konzept ging auf: Praktisch alle Wissenschaftler, Kliniker und Therapeuten mit wissenschaftlichem Interesse, die wir eingeladen haben, haben nicht nur zugesagt, sondern sind tatsächlich auch gekommen. Das positive Echo verstärkte sich bis zum vorläufigen Schluss: Die Veranstaltung im Juni 2023 wurde zu einem großartigen Erfolg.    

Paris als Tagungsort – eine Herausforderung

Warum Paris? Gibt es für die Auswahl des Tagungsortes für die erste europäische CMT-Spezialisten-Konferenz einen besseren Ort als den, wo die Krankheit entdeckt wurde? Und gibt es für das Gala-Dinner, bei dem das Networking in freundlicher Umgebung vertieft und auf eine gute Zusammenarbeit aller Teilnehmer angestoßen werden kann – zum Wohle der CMT-Patienten! –, einen besseren Ort als das Haus, in dem der Entdecker Charcot damals gewohnt hat? Paris ist europäisch, Paris liegt verkehrsmäßig günstig und Paris ist als Stadt attraktiv. Hier pulsiert das Leben, hier können Forscher inspiriert werden nach dem Motto: „together against CMT“ – gemeinsam gegen CMT.

Aber Paris ist auch teuer. Umso dankbarer sind wir der DGM, dass sie unser Projekt großzügig unterstützt hat, ebenso wie es dann auch die Schwestergesellschaft AFM-Téléthon tat. Aber auch von unseren „industriellen Partnern“ kamen erhebliche Zuschüsse, ohne die eine solche Konferenz nicht hätte realisiert werden können. Den größten Teil des Finanzbedarfs konnten wir dank einer Förderung durch das European Joint Program for Rare Diseases (EJPRD) decken. Dort waren genau im richtigen Moment Mittel für Veranstaltungen zum „networking“ bei seltenen Krankheiten ausgeschrieben, genau so, wie unsere Konferenz konzipiert war. Es lag sozusagen in der Luft. Und dass das teure Pflaster von Paris genau der richtige Ort war, davon konnten wir die Kritiker überzeugen. Irgendwie kann diese Förderung dabei auch als offizielle Anerkennung unserer Initiative verstanden werden, und wir hoffen, dass in gleicher Weise unsere Folgeveranstaltungen auf die Gegenliebe dieses europäischen Programms stoßen werden.

Eine ähnliche „offizielle“ Anerkennung sehen wir darin, dass unsere Anfragen bei der Europäischen Kommission und bei der französischen Regierung erfolgreich waren. Die für Gesundheit zuständige Kommissarin Stella Kyriakides hat uns in einer gleich in der Eröffnungssitzung der Konferenz gezeigten Video-Botschaft ermutigt, auf dem gewählten Weg voranzugehen, und die französische Vize-Ministerin für Gesundheit, Agnès Firmin Le Bodo, hat in ihrer brillianten Begrüßungsrede allen Teilnehmern der Konferenz ihre Unterstützung zugesagt.

Der wissenschaftliche Teil der Konferenz

So von (fast) höchster politischer Stelle ermuntert konnten zwei herausragende Wissenschaftler, der bekannte französische CMT-Spezialist Sharam Attarian (Marseille), aus europäischer Sicht, und Stephan Züchner (Miami), einer der führenden Genetiker im CMT-Bereich, aus amerikanischer Sicht, in ihren Reden zur Eröffnungssitzung über aktuelle Projekte und die Perspektiven der CMT-Forschung berichten.

Vor diesem Hintergrund wurde sogleich die Arbeit der drei parallel geschalteten Arbeitsgruppen aufgenommen, geteilt nach den „Disziplinen“

  1. Bio- und medizinische Grundlagenwissenschaft: „Von den Daten (-management und -analyse) zu den Therapien“
  2. Kliniker (Forschung zu Diagnose und Behandlung): „Die Potenziale der Genanalyse und der Gentechnik“, und
  3. Chirurgen und Physio-, Ergo- und Logotherapeuten: „Herausforderungen und spezifische Aufgaben der Therapeuten“.

Jeweils drei einführende Referate bereiteten den Boden für intensive Diskussionen unter der Leitung je eines Wissenschaftlers und eines Vertreters der Patientenorganisationen. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppen wurden am Ende vom hierfür ausgewählten Berichterstatter zusammengefasst und im nachfolgenden Plenum präsentiert, kommentiert und diskutiert.     

Im Mittelpunkt standen die jüngsten Fortschritte der Forschung, aber auch die aktuellen Hindernisse und Schwierigkeiten, die aktuell zum Stocken der Weiterentwicklung von diagnostischen und therapeutischen Verfahren führen. Hierzu gehört das Problem der ausreichenden Finanzierung, aber auch die Heterogenität der Erkrankung, die es erschwert, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zum Einsatz am Patienten zu bringen. Bei ca. 125 verantwortlichen Genen bzw. ihrer Mutation klingt es fast utopisch, idealerweise eine nicht nur effiziente, sondern auch sichere, vorhersehbare, und günstige Therapien für jeden CMT-Typ auf den Markt zu bringen. Und das betrifft nur die Patienten mit eindeutiger Diagnose. Die Einordnung genetischer Varianten unklarer Signifikanz erfordert mehr denn je die internationale Zusammenarbeit, da nur durch die Analyse einer großen Anzahl von Fällen jeweils eine genetische Diagnose und damit auch Zugang zu Therapieansätzen möglich wird. Obwohl die meisten Therapien, die aktuell auf klinische Prüfung warten oder wo klinische Studien bereits anlaufen, auf spezifische Subtypen abzielen (CRISPR-Cas9/siRNA/ASO Therapien), werden immer mehr Therapien entwickelt, die für eine ganze Gruppe von Subtypen in Frage kommen könnten (z.B. HDAC6-Inhibitoren). Darüber hinaus ist es, selbst wenn vielversprechende Therapien in klinische Studien zum Einsatz kommen, noch unklar, ob und wie wir einen Heilungserfolg überhaupt verlässlich messen können. Das erfordert den Einsatz gut geschulter Therapeuten und neuer Messverfahren, wie zum Beispiel die Muskelfettmessung mittels MRT. Berichtet wurde auch von einem australischen Projekt, weltweite Standards für die Erfolgsmessung von Therapieansätzen (clinical outcome assessment) zu entwickeln.

Eine Reihe weiterer wichtiger Lösungsvorschläge wurde diskutiert, die z.T. Gegenstand internationaler Kollaborationen sind und weiter ausgebaut werden können. Die Diversität der Erkrankung hat den Einsatz neuer Technologien, wie beispielsweise das „Deep Phenotyping“, also die genaue Beschreibung der Erkrankung von klinischer bis molekularer Ebene, oder den Einsatz künstlicher Intelligenz und neue experimentelle Modelle wie 3D-Zellsysteme hervorgebracht. Alles setzt eine gemeinsame Organisation und die Einigung auf Verfahren für den Zugang zu den Daten voraus, aber auch die Interoperabilität von Datenbanken bzw. Patientenregistern, wofür etwa der Aufbau Cloud-basierter Plattformen ins Gespräch gebracht wurde.

Strategien effizienter CMT-Forschung

Wie kann man diese Ziele erreichen? Dem diente der „strategische“ Teil der Konferenz. Wiederum in drei Arbeitsgruppen ging es um Problemanalyse und Lösungsvorschläge, aber auch um das Zusammenspiel der drei Ansatzpunkte: Engere Kooperation organisieren, die bei den Patienten erhobenen Gesundheitsdaten für die Forschung verfügbar machen und CMT-Betroffenen aktiv in den Prozess der Forschung und Entwicklung einbinden:

  1. Strukturierte Kooperation: Schaffung einer Europäischen CMT Forschungs-Vereinigung
  2. CMT Datenmanagement: Auf dem Wege zu einem integrierten CMT-Patientenregister
  3. Mobilisierung der Patienten: Was können Wissenschaftler, Kliniker und Therapeuten erwarten und empfehlen?

Tatsächlich ergab sich ein Konsens der jetzt interdisziplinär gemischten Gruppen, die sehr bedacht und kreativ Bedarf und Möglichkeiten einer effektiver organisierten Forschung diskutierten: In der Analyse war man sich einig, dass drei Faktoren das Leben der Forscher und damit die Forschung zur CMT schwer machen: Erstens fehlt es am Geld. Zweitens ist effektive Forschung zu einer Krankheit nur möglich, wenn die Wissenschaftler entsprechende Patientenzahlen haben, also über ausreichend Daten zum Vergleich und zum praktischen Testen theoretisch möglicher Lösungsansätzen verfügen. Und drittens – dies erklärt, warum Daten nur unzureichend systematisch erhoben und verfügbar gemacht werden – finden diejenigen Wissenschaftler, Ärzte und Therapeuten, die sich die Mühe machen, brauchbare Daten zu erheben und zu sammeln, selten Anerkennung: Sie werden wie ein Stück Infrastruktur behandelt, wie ein Besen oder die Putzhilfe. Sie erhalten für ihre Leistung allenfalls einen mäßigen Lohn, oft aber keine wissenschaftliche Anerkennung, keine Wertung ihrer meist sehr anspruchsvollen Arbeit, ohne die als Grundlage weder medizinische Forschung noch gute Veröffentlichungen möglich sind.

Und noch eine damit verbundene Erkenntnis hat sich im Raum verbreitet: Jeder Wissenschaftler, jede Klinik ist geneigt, die selbst erhobenen Daten wie einen Schatz zu hüten, aus Angst, die Konkurrenz könnte daraus einen Vorteil erlangen. Die einzigen, die dieses Problem lösen können, seien die Patienten selbst. Denn ja, ihnen gehören die Daten, auch wenn sie in den Datenbanken der Kliniken und Forschungslabors lagern. Wenn wir als Patienten es aber schaffen, die Verfügbarkeit unserer Daten für die CMT-Forscher insgesamt sicherzustellen, kann das für die Forschung im Zeitalter der Digitalisierung und vor allem der künstlichen Intelligenz eine Zeitenwende bedeuten. Hier sieht Wolfgang Pernice aus New York ein riesiges Potential. Ohne eine Mobilisierung der Patienten in diesem Sinne bleibt die Hoffnung auf eine Therapie der CMT trotz aller zu beobachtenden Ansätze, und laufenden Studien eher gering.

Gemeinsam sind wir stärker: Was nehmen wir mit ?

Im Verlauf der Vorbereitungen der, und im Blick auf die Konferenz sind nicht nur die tschechische und die ungarische CMT Patientenorganisation der ECMTF beigetreten, sondern als assoziierte Mitglieder auch die drei großen amerikanischen CMT-Patientenorganisationen, die CMTA, die CMTRF und die HFN. Damit vertritt die ECMTF jetzt weitere hunderttausende Patienten. Im Sinne der Verfügbarkeit der Daten für die Forscher wurde in Paris erstmals die Bereitschaft geäußert, die amerikanischen Register Forschern auch aus Europa zu öffnen, so wie von dort aus bereits heute Forschungsgelder für europäische Projekte zur Verfügung gestellt werden. Entscheidendes Motto ist für alle das gemeinsame Ziel, endlich eine Therapie zu finden, wo auch immer, in Interesse der Patienten: „together we are stronger“. Die engere europäische, aber auch die transatlantische Zusammenarbeit sind erste wichtige Schritte. Die nächsten werden folgen.

Die hier entstandenen Verbindungen sind vielleicht das Wichtigste, was jeder Teilnehmer aus Paris mitnehmen konnte. Und sie sind die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung der erarbeiteten Erkenntnisse und Ideen.

Was sonst nehmen wir von der Konferenz in Paris mit? Vincent Timmerman, berühmter CMT-Forscher aus Antwerpen, hat in seinen Schlussfolgerungen eine Vielzahl von Punkten aufgeführt, mögliche „take-aways“ aus Paris.

Dazu gehören eine Vielzahl von aktuellen Informationen aus der Forschungslandschaft, dann aber auch Aufgaben für die Zukunft: Ein Gedanke war, eine europäische CMT-Forschervereinigung („European CMT Research Association,“ ECRA) zu gründen. Sie könnte als „Incubator“ für die grenzübergreifende Forschungsprojekte Hilfestellung dienen, Mittel für die Antragstellung bereitstellen und konkret auch bei der Beantragung von Forschungsmitteln dienen. Schon auf nationaler Ebene, vor allem aber für die Fördertöpfe der EU ist die Antragstellung nicht nur aufwendig, sondern eine eigene Wissenschaft. Mit der Bereitstellung des hierfür nötigen speziellen Wissens könnte das Problem der Finanzierung der CMT-Forschung jedenfalls teilweise gelöst werden. Jedenfalls die unmittelbare Beteiligung der Patienten(-organisationen), aber etwa auch die Einbeziehung der Therapeuten mit ihren Daten und Erfahrungen in den Forschungsprozess erlauben, neue Formen der Zusammenarbeit und Fragestellungen zur Analyse der Krankheit und ihrer Ursachen zu entwickeln. Das Verhältnis einer solchen Vereinigung zu den bereits existierenden (Forscher-)Organisationen wie der Peripheral Nerve Society PNS, bedarf freilich noch der Klärung.    

Auch im Bereich Datenmanagement kann an Erfahrungen mit schon existierenden Patientenregistern angeknüpft werden. Das französische „Filnemus“ und das deutsche CMT-Net sowie die Datenbanken der amerikanischen CMTA („Patients as Partners“, PaP) und HFN (GRIN) sind Beispiele, von denen wir lernen, und eine Basis, auf die wir aufbauen können. In Europa ist das größte Problem wieder das Fehlen einer langfristigen Finanzierung, aber auch die Zersplitterung der existierenden Datensammlungen. Mit dem EU-finanzierten Projekt EuroNMD wird versucht, übergreifend für alle neuromuskulären Krankheiten eine Schaltstelle („registry hub“) zu bauen. Auch die europäische Initiative TREAT-NMD, ein „Exzellenznetzwerk“ führender Spezialisten für neuromuskuläre Erkrankungen, bemüht sich um die Errichtung internationaler harmonisierter Patientenregister. Wegen zahlreicher Gemeinsamkeiten der neuromuskulären Krankheiten liegt es nahe, hier auch die CMT-Register zu integrieren. Aus Frankreich wird von der integrierten Datenbank für alle seltenen Krankheiten „BaMaRa“ berichtet. Ob gegenüber diesen übergreifenden Ansätzen der Vorschlag, ein europäisches, aber auf CMT spezialisiertes Register (European CMT Patient Registry, ECPR) zu schaffen vorzugswürdig ist, ist zu prüfen. So oder so gibt der Verordnungsvorschlag der Kommission für die Schaffung eines europäischen Gesundheitsdatenraums („European Health Data Space“, EHDS) Grund zur Hoffnung, dass für zahlreiche Probleme beim Aufbau eines solchen Registers eine Lösung gefunden werden kann.

Dass wir Patienten in der CMT-Forschung eine entscheidende Rolle spielen, ist eine Banalität. Die Mobilisierung zur aktiven Mitwirkung ist gleichwohl weitgehend nicht gelungen. Je seltener der CMT-Typ, desto geringer aber ist die Chance auf eine zugelassene Therapie, weil noch nicht einmal die nötigen Teilnehmer für Studien gefunden werden. Als Beispiel wird CMT4C beschrieben, wo eine Gentherapie bereits gefunden wurde. Die Gründung einer „CMT4C patient task force“ soll hier helfen. Viel spricht dafür, solche „task-forces“ europaweit für jeden CMT-Typ zu gründen, wo die betroffenen Patienten auch untereinander ihre speziellen Erfahrungen austauschen können. Da bei CMT die Symptome sehr unterschiedlich sind, sogar bei jedem Untertyp, und in der Regel über die Jahre langsam schlimmer werden, oder in Schüben, ist für die Forscher die „Leidensgeschichte“ von fundamentaler Bedeutung. Hier sind sie auf regelmäßige Berichterstattung, sei es durch jährliche Besuche in den Zentren mit entsprechender Dokumentation, sei es unter Nutzung von Apps wie „CMT & me“ ebenso wichtig, wie die Bereitschaft, Gesundheitsdaten überhaupt für die Forscher zugänglich zu machen. Das hat der Patient in der Hand, und damit liegt es in unserer Hand, ob es einmal eine Therapie geben wird oder nicht.    

Poster-Wettbewerb – Interviews – Dokumentation

Den Reichtum der Informationen, Ideen und Vorschläge, die auf der Konferenz präsentiert und diskutiert wurden, wird man erst ermessen können, wenn die Aufzeichnungen der Vorträge und Diskussionen verfügbar sind. Dazu seien abschließend zwei besondere Aktionen erwähnt, mit denen die Nachwuchswissenschaftler gefördert und die Bedeutung der Konferenz für die Teilnehmer und die Öffentlichkeit vorläufig nachvollziehbar sei mögen.

Zur Konferenz waren auch junge Forscher geladen, die ihre spannenden Projekte mit Postern erläuterten. Für das beste Poster war ein Preis ausgesetzt, den Wettbewerb leitete Filipo Genovese, der 1. Vizepräsident der ECMTF. Eine Jury bestehend aus drei Spitzenforschern, Mary Reilly aus London, Sharam Attarian aus Frankreich und Kleopas Kleopa aus Zypern, wählte zwei hervorragende Poster als preiswürdig aus, zwei jungen Französinnen aus Marseille waren die Preisträgerinnen. Der Preis bestand neben einem kleinen Preisgeld in der Möglichkeit eines Interviews, mit dem ihr Erfolg publik gemacht werden kann. Nach dem Abschluss der Konferenz wurden die beiden von Stephan Züchner aus Miami und Alexandre Méjat (EURORDIS & AFM Téléthon) interviewt und konnten über Ihre Projekte sprechen und ihre Eindrücke von der Konferenz schildern.

Um ein etwa breiteres Bild von der Konferenz zu geben, haben der Generalberichterstatter der Konferenz, Vincent Timmerman und drei weitere Berichterstatter aus den Arbeitsgruppen, Raffel Sivera, Maike Dohrn und Andrea Cortese, abschließend in weiteren Interviews den Fragen von Vertretern der Patientenorganisationen aus Israel, Rumänien, den USA Italien und dem Vereinigten Königreich geantwortet. Alle diese Interviews wie auch die Reden und Diskussionen in den Arbeitsgruppen und Plenarsitzungen werden nach und nach auf der Webseite der ECMTF veröffentlicht, so dass alle Interessierten sich ein Bild von dieser bisher einzigartigen Konferenz machen können. Sie werden Grundlage für die Umsetzung der in Paris entwickelten Ideen in den kommenden Jahren sein.

Dokumentation und Videos der Veranstaltung finden Sie unter https://ecmtf.org/events/ Den Direktlink finden Sie unterhalb der Fotos.

Ingolf Pernice, Berlin