23.05.2023

26. Kongress des Medizinisch-Wissenschaftlichen Beirates der DGM

Transition im Fokus – Interdisziplinäre Versorgung, innovative Therapien

Der DGM-Kongress ging am 24. März 2023 erfolgreich in Essen zu Ende. An zwei Tagen erlebten rund 600 Teilnehmende viele anregende Diskussionen auf hohem Niveau und gemeinsam mit der Kongresspräsidentin, Univ.-Prof. Ulrike Schara-Schmidt, Leitende Ärztin der Abteilung für Neuropädiatrie, Klinik für Kinderheilkunde 1, Universitätsmedizin Essen, und dem Kongresspräsidenten Univ.-Prof. Tim Hagenacker, Klinik für Neurologie, Leiter der Neuromuskulären Ambulanz für Erwachsene, Universitätsmedizin Essen, „einen innovativen, interdisziplinären und visionären Kongress“. Zum ersten Mal wurde die renommierte Fachtagung von zwei Leitern universitärer neuromuskulärer Zentren in der Kinder- und Jugendneurologie und Neurologie gemeinsam ausgerichtet. Mit der Doppel-Präsidentschaft legten sie den Fokus auf die sogenannte Transition, den strukturierten Übergang von der Jugend- in die Erwachsenenmedizin.

Transition im Fokus – abgestimmte Standards in der Jugend- und Erwachsenenmedizin

Unter dem Titel „Neuromuskuläre Erkrankungen von jung bis alt: Transition im Fokus“ wurden die Vorteile der Transition aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Überaus spannend war die anschließende Podiumsdiskussion mit Blick über den Tellerrand. „Wir hatten zum ersten Mal Themen über die gesamte Lebensspanne für das Alter von 0 bis 100, von der Grundlagenforschung bis hin zu Themen im Alltag,“, betonte Prof. Schara-Schmidt, deren Patientinnen und Patienten durch die neuen Entwicklungen eine bessere Lebenserwartung mit verbesserter Lebensqualität haben und auch deutlich über 18 Jahre alt werden können. „Es ist für uns ganz wichtig, dass wir eine Möglichkeit schaffen, die Patienten in gute Hände zu übergeben.“ Bisher sei es ein Alleinstellungsmerkmal am Standort Essen, aber es sollte auch bundesweit so sein, „dass die Patienten nicht mit Erreichen des 18. Geburtstages in ein Loch fallen.“

Prof. Hagenacker wies darauf hin, dass durch die immer effektiveren therapeutischen Möglichkeiten im Kindesalter nicht nur die Anzahl an erwachsenen Patienten zunimmt, sondern sich auch neue Ausprägungen von Krankheiten zeigen. „Wir sehen zum Beispiel andere Organmanifestationen, aber auch therapieassoziierte Phänomene. Als Erwachsenen-Neurologe muss ich verstehen, wie die Therapie im Kindesalter stattgefunden hat und welchen Einfluss sie dort auf den Erkrankungsverlauf genommen hat, um dann zu wissen, was die individuellen Herausforderungen sein werden.“

Als Fazit wurde festgestellt, dass die Betroffenen von einem harmonischen Übergang von der Kinder -und Jugend- zur Erwachsenenmedizin profitieren, wenn Strukturen aufeinander abgestimmt sind und es einheitliche Standards im pädiatrischen Bereich und im Erwachsenenbereich gibt.

Interdisziplinäre Versorgung und der Einsatz hocheffektiver neuer Gentherapien

Ein wichtiger Tagungsschwerpunkt lag auf komplexen neuen Therapien. In hochkarätig besetzten Plenarsitzungen und Symposien diskutierten Expertinnen und Experten aller wissenschaftlichen Fachgebiete neuromuskulärer Erkrankungen und der interdisziplinären Versorgung wie Neuropädiatrie, Neurologie, Genetik, Neuropathologie, Orthopädie, Rehabilitationsmedizin, Beatmungsmedizin, Palliativmedizin, Intensivpflege und Heilberufe neue Erkenntnisse zur interdisziplinären Versorgung neuromuskulärer Erkrankungen. Mit Blick auf das Fortschreiten der Krankheit ging es um genetische Prädisposition, molekulare Ursachen von Muskelkrankheiten und therapeutische Angriffsmöglichkeiten. Fortschritte bei der Behandlung, etwa beim Einsatz von hochwirksamen neuen Gentherapien, wurden vorgestellt und diskutiert.

In Folge der erfolgreichen gentherapeutischen Behandlungsansätze zur spinalen Muskelatrophie wurden auch Studien zu anderen Muskelerkrankungen vorgestellt, die auf eine Medikamentenzulassung für eine Gentherapie warten, allen voran die Duchenne-Muskeldystrophie.

In den lebhaften Diskussionen wurde deutlich, welche entscheidende Rolle die Vor- und Nachsorge bei der Durchführung einer effektiven Gentherapie spielen. Auch zeigte sich, dass der weitere Verlauf therapierter Muskelerkrankungen nach den ersten sechs Jahren Beobachtungszeit noch nicht alle Fragen beantworten kann. „Weil der Beobachtungszeitraum so kurz ist und noch niemand sagen kann, womit wir noch rechnen müssen, sind wir darauf angewiesen, sehr gut zu dokumentieren und uns auch in der Langzeitverfolgung auszutauschen“, so Prof. Schara-Schmidt. Prof. Hagenacker gab zu bedenken, „dass wir hier erstmals mit Therapien – Genersatz-Therapien – agieren, die wir nicht mehr beenden können, das ist das Prinzip dieser Therapien. Wir müssen auch damit rechnen, dass Spätkomplikationen auftreten können.“

Neben Genersatztherapien auf DNA-Ebene, die zum Beispiel bei Kindern bei Spinaler Muskelatrophie (5q-SMA) eingesetzt werden, wurden Erfahrungen mit genmodifizierend wirkenden Therapien auf RNA-Ebene diskutiert, mit denen zahlreichen Muskelerkrankungen bei Kindern und auch bei Erwachsenen behandelt werden können. Die Präsentationen verschiedener Studien zeigten, dass – bei allen Unterschieden einer Therapie im Erwachsenenalter von einer Therapie im Kindesalter – erheblich von den Vorerfahrungen im neuropädiatrischen Bereich profitiert werden kann.

Viele der neuromuskulären Erkrankungen werden erst im Erwachsenenalter manifest, auch hier sind die neuen Therapien mit großen Hoffnungen verbunden. „Wir haben viel erwartet von den verschiedenen Gentherapien, aber inzwischen festgestellt, dass das, was bei einer Erkrankung hocheffektiv ist, auf andere Erkrankungen nicht übertragbar sein muss“ stellte Prof. Hagenacker fest. Da sich sowohl die praktische Anwendung als auch Wirkung und Nebenwirkungen der Therapie durchaus unterscheiden können, führt die wissenschaftliche Gemeinschaft nun Real World Evidence Studien durch, auch, „weil wir eine Mitverantwortung haben, mit diesen teuren Therapien auch das Meiste zu bewirken.“

Auf hochkarätige Präsentationen folgte eine lebhafte Podiumsdiskussion im Spannungsfeld einer medikamentösen Therapie, eingebettet in eine multidisziplinäre Betreuung, aber auch Erwartungshaltungen von Betroffenen und Angehörigen sowie den speziellen Möglichkeiten in klinischen Zentren, in denen die Patienten betreut werden. Fazit war, dass die hocheffektiven genetisch basierten Therapieverfahren, sowohl DNA- wie auch RNA-Therapien, inzwischen als Therapiestandard gelten. Doch auch wenn inzwischen für die 5q-SMA im Kindesalter drei, im Erwachsenenalter zwei Therapien zur Verfügung stehen, bleibt bisher unklar, welche Therapie bei welchem Patienten die beste ist, unabhängig vom Lebensalter und der Frage, ob tatsächlich eine Gentherapie für jeden Patienten und jede Patientin die optimale Behandlung ist.

Bei der Diskussion therapeutischer Fortschritte und Entwicklungen wurde aber auch deutlich, dass neuromuskuläre Erkrankungen für die meisten Patientinnen und Patienten immer noch den fortschreitenden Verlust der Bewegungsfähigkeit bedeuten. Das vielfältige wissenschaftliche Programm beleuchtete in hochkarätig besetzten Plenarsitzungen und Symposien den aktuellen Stand der Forschung in Bezug auf das spezifische Fortschreiten verschiedener Muskelkrankheiten, Motoneuronerkrankungen, Erkrankungen der neuromuskulären Synapse und der peripheren Nerven. In der Session „Komplexe neue Therapien bei NME: Chancen und Grenzen?“ ging es um die Frage nach der Evidenz und um Chancen und Herausforderungen der Palliativversorgung bei lebenslimitierenden neuromuskulären Erkrankungen.

Digitalisierung

Auch das Thema der Digitalisierung im Gesundheitswesen wurde adressiert. Prof. Thomas Meyer (Berlin) sowie Dr. Andreas Ziegler (Heidelberg) stellten ihre Gesundheitsapplikationen vor. Dabei wurden Möglichkeiten, Notwendigkeiten, Chancen und Grenzen in der digitalen Kommunikation diskutiert. Gerade im Kontext des Ressourcenmanagement bieten Gesundheits-Apps einfache Lösungen. Die DGM verweist in diesem Zusammenhang deutlich auf den Datenschutz und die Nutzungsrechte. Auch die Datengenerierung für Forschungszwecke oder die KI-unterstützte Wissenschaft erfordern Nutzerregeln sowie das Bekenntnis zum Datenbesitzrecht bei den Betroffenen.

Ausblick: DGM 2025 in Gießen – der intensive Austausch geht weiter!

Die spannenden Diskussionen, Neues aus Wissenschaft und Forschung und der intensive Austausch werden beim DGM-Kongress 2025 weitergeführt. Der 27. Kongress des Medizinisch-Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke findet vom 19. bis 22. März 2025 in Gießen statt. Schon jetzt laden die Kongressleiter Prof. Dr. med. Anne Schänzer, Oberärztin Leitung Neuromuskuläres Labor, Prof. Dr. Heidrun Krämer-Best, Leitung Schwerpunktbereich für Neurophysiologie und Neuromuskuläre Erkrankungen, sowie Prof. Dr. med. Andreas Hahn, Oberarzt Kinderneurologie, vom Universitätsklinikum Gießen herzlich dazu ein.

Nähere Informationen gibt es auf der Kongress-Website unter www.dgm-kongress.de.

Autorin: Kerstin Aldenhoff