29.08.2021

1. Selbsthilfe-Symposium der Diagnosegruppe CMT/HMSN in Hohenroda

Mag die Corona-Pandemie noch nicht an ihr wohlverdientes Ende gelangt sein, so wagte es der Vorstand der neuesten Diagnosegruppe der DGM trotzdem einen Anfang zu setzen, indem er zur ersten Präsenzveranstaltung in die anmutige Kuppenrhön im Herzen Deutschlands einlud. Für viele war die Luft möglicherweise noch nicht virenfrei genug, für andere die Hygienemaßnahme, die kurz vor Beginn etwas verschärft wurden, um für zusätzliche Sicherheit zu sorgen, zuviel des Guten. Doch fast ein Zehntel der rund 600 DGM-Mitglieder mit einer CMT-Diagnose folgten dem Ruf zur Zusammenkunft.

Nach gefühlten 101 Vorstandssitzungen seit der Wahl 2020,  der „Kick-Off-Sitzung“ im Dezember 2020, dem Patienten-Fachtag im März 2021, regelmäßigen CMT-Gruppentreffen – alles wohlgemerkt immer in der virtuellen Zwischenwelt – war es eine Wohltat für Herz und Verstand endlich wieder Menschen aus Fleisch und Blut  in der „normalen“ Welt erleben zu dürfen, genauer im Hotelpark Hohenroda, der für viele Muskelkranken zu einer Art zweiten Heimat geworden ist. Da mutete es fast schon ironisch an, daß die beiden medizinischen Hauptvorträge im Saal Frankfurt als Video-Konferenz projiziert werden mussten. Doch wie meinte ein Zuschauer: „Endlich wieder großes Kino!“.

Und tatsächlich erzählte Prof. Dr. Peter „Pitt“ Young (Medical Park Bad Feilnbach, Klinik für Neurologie) gleich am Freitagnachmittag spannender als jeder Action-Thriller von den mitunter etwas unheimlichen Angriffen der CMT-Erkrankung auf das periphere Nervensystem und den raffinierten Methoden, den Varianten  - von der relativ häufigen CMT 1 bis zur wirklich sehr seltenen CMT X - auf die Spur zu kommen. Neben den neuesten Diagnose-Methoden sei nach wie vor die oftmals unangenehme Messung der Nervenleitgeschwindigkeit für die Bestimmung der CMT-Unterarten wichtig, auch wenn die genetischen Untersuchungen an Bedeutung gewinnen und immer mehr betroffene Gene und Mutationen in den Blick geraten. Daran knüpfte der zweite medizinische Hauptvortrag am Sonntagmorgen an:  als Spezialist für die humangenetische Diagnostik entfaltete Prof. Dr. Jan Senderek (Friedrich-Baur-Institut, München) auf höchstem Niveau die ganz erstaunliche und erschreckende genetische Vielfalt der CMT. Wenig bekannt ist der Umstand, daß trotz unterschiedlichster Methoden der genetischen Diagnostik sich bisher nur etwa 50 Prozent der CMT-Erkrankungen genetisch bestimmen lassen. Das Problem tritt auf, weil es zu wenige genetische Daten zum Abgleichen gibt. Prof. Senderek appellierte daher an das Publikum eindringlich, sich z. B. beim CMT-Net registrieren zu lassen, damit die – selbstverständlich anonymisierten – Daten eine verbesserte Diagnose und am Ende neue Therapieansätze ermöglichen können. (Die Präsentationen und eine Zusammenfassung der Vorträge finden Sie in den Anlagen unten.)

Nach diesem ersten Plenum boten vier Gesprächskreise die Möglichkeit zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch. Für einige Teilnehmer war es das erste Mal, bei einer CMT-Veranstaltung dabei zu sein und Menschen mit dieser seltenen Erkrankung kennenzulernen. Nach der anregenden, aber auch anstrengenden Informationsflut des Vormittags nahmen viele Teilnehmer dankbar an einer Entspannungsübung nach dem Mittagessen teil, die der zweite Vorsitzende der Diagnosegruppe Franz Sagerer anleitete.

Am Nachmittag berichtete Gudrun Reeskau von der Geschäftsstelle der DGM in Freiburg über sozialrechtliche Ansprüche CMT-Betroffener. Auch sie war erleichtert darüber, endlich wieder vor „richtigen"“ Menschen sprechen zu können.

Vor dem wohlverdienten Abendessen setzte man sich in Themen-Gesprächskreisen zusammen, um sich über spezifische Themen auszutauschen: Fahrzeuge, die uns mobil halten (mit Franz Sagerer); Schuhprobleme – Fuß-Operationen (mit Jörg Bank); Pflegeversicherung und -grad (mit Gudrun Reeskau), Probleme bei der Suche nach dem richtigen Arzt/ Therapeuten (mit Petra Hatzinger).

Am Sonntagmorgen gab es statt Frühgymnastik und Zirkeltraining  nach dem Frühstück einen Einblick in die Feldenkrais-Therapie. Die Feldenkrais Lehrerin Larissa Baehn erläuterte enthusiastisch zunächst theoretisch diesen bewegungstherapeutischen Ansatz, der unabhängig von seinem theoretischen Überbau in der Praxis - qualifizierte Anleitung vorausgesetzt - dazu beitragen kann, die körperliche Beweglichkeit zu verbessern. Danach gab es einen praktischen Teil. Hatten erstaunlich viele Teilnehmer bereits Erfahrungen mit der Feldenkrais-Methode gemacht, so waren viele Neulinge von diesem „Schnupperkurs“ durchaus positiv angetan.

Nach der Kaffeepause ging es um 11 Uhr weiter, wieder in die Halle des Frankfurter Saals. Kein geringerer als der Geschäftsführer der DGM, Joachim Sproß, war schon am Vortag angekommen, um endlich alle Mitglieder des Vorstandes, den er ja seit längerem aus der Ferne gecoacht hatte, persönlich kennenlernen zu können. Er erläuterte den Vertretern der Diagnosegruppe den tieferen Sinn der Organisation DGM, die nicht nur in der Vielfalt der Beratungs- und Hilfsangebote besteht. Ausgangs- und Mittelpunkt seiner Überlegungen war der einzelne Patient im Labyrinth des Gesundheitswesens. Das isolierte Individuum, eingeschränkt und betroffen von existentiellen Problemen wie einer fortschreitenden degenerativen Nervenerkrankung, bedarf der Unterstützung in seiner spezifischen und komplexen Problemlage. Sinnvoll sei daher der Zusammenschluss der Patienten zu einer starken und stärkenden Organisation, die für den gesamten neuromuskulären Bereich mit einer Stimme spricht und  mit den weiteren Akteuren, wie z.B. medizinisch-therapeutischen Anbietern, Kostenträgern, Politikern, Pharmaunternehmen uvm. auf Augenhöhe zu verhandeln. Sproß erläuterte die Struktur der DGM, in der Landesverbände als regionale Ansprechpartner wirksam sind und jeweils landesweit in Politik und Gesellschaft die Interessen der Mitglieder vertreten. Ausführlich stellte er die Aufgabenpalette der Diagnosegruppen gemäß der Geschäftsordnung vor, das heißt vor allem diagnosespezifische Angelegenheiten, Netzwerkaktivitäten sowie krankheitsbezogene Wissensvermittlung. Die Aktivitäten der DGM, speziell die Forschungsförderung, bleibt abhängig von der Spendenbereitschaft. Das Procedere zum Förderbescheid für die jährlich eingehenden Forschungsprojektanträge über das Gutachtersystem des medizinisch-wissenschaftlichen Beirats der DGM wurde vorgestellt.

Insgesamt war das „Selbsthilfe-Symposium” für uns alle ein unvergessliches und anregendes Erlebnis, sowohl menschlich-persönlich und als auch sachlich-fachlich. Das 2. Selbsthilfe-Symposium der Diagnosegruppe CMT/HMSN in Hohenroda wird vom 27.-29. Mai 2022 stattfinden.  Beginn soll schon ab 15.00 h sein, damit etwas mehr Zeit für Gespräche und Kennenlernen bleibt, dafür wird aber auch nicht vor 10 Uhr morgens angefangen.                                 

Dr. Jörg Bank

weitere Informationen zum Thema Feldenkreis und das zuckersüße Video von Baby Liv finden Sie hier:

https://www.feldenkrais.de
https://www.feldenkrais.de/materialien#videos

Teilnehmer des Symposiums