07.02.2024

Drittes ENMC Meeting zu SBMA

271. Internationaler ENMC Workshop

20. bis 22. Oktober 2023 in Hoofddorp, Niederlande

Veranstalter: Prof. M. Pennuto (Italien), Prof. G. Soraru (Italien), Prof. L. Greensmith (UK), Prof. P.F. Pradat (Frankreich)
Teilnehmende: Dr. M. Basso (Italien), Herr M. Bertolotti (Italien), Prof. M. de Carvalho (Portugal), Herr G. Fabris (Italien), Dr. S. Fenu (Italien), Dr. K. Fischbeck (USA), Prof. P. Fratta (UK), Prof. I. Gozes (Israel), Prof. M. Katsuno (Japan), Dr. B. Malik (UK), Dr. E. Meyerhtolen (USA), Dr. N. Pilati (Italien), Prof. A. Poletti (Italien), Dr. G. Querin (Frankreich), Dr. G. Ronzitti (Frankreich), Dr. X. Salvatella (Spanien), Herr K. Slowe (UK), Prof. J. Vissing (Dänemark), Prof. M. Weber (Schweiz), Dr. P. Weydt (Deutschland), Dr. L. Zampedri (UK), Dr. M. Zanovello (UK), Dr. E. Zuccaro (Italien)
Übersetzungen dieses Bericht von PD Dr. Patrick Weydt (Bonn)

Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Kampf gegen die Kennedy Krankheit

Hintergrund und Ziele des Workshops

Vom 20. bis 22. Oktober 2023 trafen sich 26 Wissenschaftler aus Wissenschaft, Gesundheitswesen und Industrie aus elf Ländern (Dänemark, Frankreich, Deutschland, Israel, Italien, Portugal, Spanien, Schweiz, Vereinigtes Königreich, USA und Japan) mit vier Patientenvertretern von AIMAK, KDUK und KDA in den Niederlanden. Der Workshop unter der Leitung von Maria Pennuto, Gianni Sorarù, Linda Greensmith und Pierre-Francois Pradat befasste sich mit den Fortschritten in der Forschung und der klinischen Praxis im Zusammenhang mit der Kennedy-Krankheit (Kenneds Disease, KD), auch unter dem Namen Spinale und Bulbäre Muskelatrophie (SBMA) bekannt. SBMA ist eine seltene, X-chromosomal vererbte neuromuskuläre Erkrankung, die fast ausschließlich Männer betrifft und durch eine Mutation im Gen für den Androgenrezeptor (AR) verursacht, der die männlichen Sexualhormone, die Androgene, bindet. Diese Mutation verursacht eine langsam fortschreitende Muskelermüdung, -schwäche und -atrophie, insbesondere in den Gliedmaßen, im Gesicht und im Nacken, und kann auch zu nicht-neurologischen Symptomen wie Brustvergrößerung und Stoffwechselproblemen führen. In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte beim Verständnis der pathologischen Mechanismen und des klinischen Spektrums der SBMA sowie bei der Entwicklung von Instrumenten für die klinische Bewertung erzielt - allesamt wichtige Voraussetzungen für die Durchführung von Therapiestudien. Ziel des Workshops war es, das Wissen und die Zusammenarbeit zwischen Experten und Patientenvertretern zu konsolidieren, sich über Studiendesigns und Ergebnismessungen abzustimmen und die teilhabende Medizin zu fördern, um so die Chancen für die Entwicklung wirksamer Behandlungen für SBMA zu erhöhen.

Präklinische Forschung

Der erste Teil des Workshops konzentrierte sich auf die präklinische Forschung, in dem Forscher ihre neuesten Erkenntnisse vorstellten, darunter Ergebnisse zu neuen molekularen Toxizitäts-Mechanismen, sowie alternative Strategien für die Behandlung von SBMA-Patienten. Seit einigen Jahren wird SBMA als neuromuskuläre Störung und nicht mehr als reine Motoneuronenerkrankung angesehen. Diese Sichtweise wurden von auf diesem Workshop vorgestellten neue Erkenntnisse unterstützt, die unterstrichen, wie wichtig es ist, in präklinischen Studien zur SBMA sowohl die neuronalen als auch die muskulären Elemente der motorischen Einheit zu untersuchen, welche letztlich die Muskeln als vielversprechendes Zielgewebe für neue therapeutische Interventionen nahelegen.

Die Wissenschaftler präsentierten auch neue Erkenntnisse über neue Wirkmechanismen des AR und darüber, wie Mutationen im AR zu Toxizität führen. Dazu gehören i) eine Bewertung der biophysikalischen Eigenschaften des AR, wobei die Ergebnisse zeigen, dass der AR seinen physikalischen Zustand bei Mutationen nur eingeschränkt ändern kann, was letztlich zu einer abnormen Funktion des AR führt; ii) eine Untersuchung der direkten nachgeschalteten Ziele des AR auf Einzelmolekülbasis in normalen und mutierten ARs; und iii) eine Studie über das Ungleichgewicht zwischen Proteasom und Autophagie bei mutierten ARs, das letztlich die Beseitigung von geschädigten Proteinen und toxischen Aggregaten beeinträchtigt.

Auf dem Workshop wurden neue therapeutische Strategien vorgeschlagen, darunter solche, die darauf abzielen, die AR-Aktivität durch gezielte Beeinflussung der AR-Koaktivatoren, der AR-Synthese, der posttranslationalen Modifikationen sowie des Abbaus und der Beseitigung mutierter toxischer AR zu modulieren. Darüber hinaus wurden verschiedene Instrumente für therapeutische Maßnahmen vorgeschlagen und diskutiert. Weitere Studien zu diesem Thema müssen durchgeführt werden, um die beste Strategie zu finden.

Die wissenschaftliche Diskussion während dieser Sitzung unterstrich die dringende Notwendigkeit der Entdeckung neuer Biomarker für den Verlauf der Erkrankung und Wirksamkeit von Therapie-Molekülen („target engagement“), da diese für das Verständnis der Auswirkungen therapeutischer Maßnahmen auf die Krankheit sowohl in Tiermodellen als auch bei Patienten in klinischen Versuchen von entscheidender Bedeutung sein werden.

Klinische Forschung

Aus der Sitzung zur klinischen Forschung ging hervor, dass Fortschritte bei der Identifizierung von Biomarkern und Messgrößen für den Krankheitsverlauf bei SBMA erzielt werden, wie z. B. die Muskel-MRT und die laborchemische Messung von Troponin T, die für die Feststellung des Krankheitsverlaufs und der Wirksamkeit in klinischen Studien entscheidend sind.

Die Diskussionen über das Symptommanagement unterstrichen die Notwendigkeit eines multidisziplinären Managements und evidenzbasierter Leitlinien für SBMA. Dies gilt insbesondere für den potenziellen Nutzen von Muskeltraining, das sich für Patienten mit neuromuskulären Erkrankungen als sicher erwiesen hat. Darüber hinaus erkannten die Teilnehmer an, wie wichtig neben der Leistungsbeurteilung auch die von den Patienten selbst berichteten Ergebnisse sind.

Neue Studiendesigns profitieren von den Fortschritten in der Genetik und den Behandlungsstrategien, doch die Seltenheit und Heterogenität der SBMA erschweren die Patientenstratifizierung und -rekrutierung in Studien. Die Workshop-Teilnehmer waren sich einig, dass der internationale Austausch von Protokollen und die Einführung von Behandlungsstandards die Durchführung von Studien beschleunigen könnten. Klinische Studien könnten durch die Verringerung Klinikesuche und die Nutzung lokaler Zentren sowie durch Fernbewertungsstechniken und die Messung von Patientenselbstbeurteilungen effizienter gestaltet werden.

Das internationale SBMA-Register, das sich auf das nationale italienische Register gründet, sammelt Daten von rund 700 Patienten aus neun Ländern und trägt so zum epidemiologischen Verständnis, zur Entdeckung von Biomarkern und zur Rekrutierung klinischer Studien bei.

Auswirkungen auf die Patienten und ihre Familien

Am letzten Tag des Workshops fand eine Sitzung mit spezieller Berücksichtigung der Patientensicht statt, in der deren Erfahrungen mit der Diagnose, ihr tägliches Leben mit der Krankheit und ihre Hoffnungen auf eine Heilung beleuchtet wurden. Ein kritischer Punkt, der von den Patientenvertretern und Patientenverbänden angesprochen wurde, war das geringe Bewusstsein der medizinischen Fachwelt für SBMA Diagnose, was zu Verzögerungen bei der Diagnosestellung und einer unzureichenden Behandlung führt. Die Patientenverbände wurden als wichtige Stütze für SBMA-Patienten und als starke Verbindung zu medizinischen Fachkräften und Forschern angesehen.

Nächste Schritte

Der Workshop schloss mit der Verpflichtung, die laufende Zusammenarbeit zu verstärken, wobei die Bedeutung multidisziplinärer Ansätze betont wurde. Künftige internationale Veranstaltungen sind in Zusammenarbeit mit Patientenverbänden geplant, um wissenschaftliche Erkenntnisse besser an die SBMA-Gemeinschaft weiterzugeben und sie in den Forschungsprozess einzubeziehen.

Zu den kurzfristigen Zielen gehören die Verstärkung der internationalen Datenerfassung und die Zusammenarbeit mit den Patienten bei der Erstellung von Leitlinien zur Rationalisierung klinischer Studien. Langfristige Ziele konzentrieren sich auf die Vertiefung des Verständnisses der KD-Pathologie, um gezielte Behandlungen zu entwickeln.

Ein vollständiger Bericht wird in der Zeitschrift Neuromuscular Disorders veröffentlicht.