Atemstörungen bei Neuromuskulären Erkrankungen

Störungen der Atemfunktion treten bei Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen meist im Sinne einer mechanischen, restriktiven Atemstörung auf. Diese ist verbunden mit einer Verminderung der Vitalkapazität. Zudem entwickelt sich ein erhöhter Kohlenstoffdioxidgehalt im Blut (Hyperkapnie), im weiteren Verlauf dann ein erniedrigter Sauerstoffgehalt (Hypoxämie).

Zur Schwächung der Atemmuskulatur kann es bei Kindern und Erwachsenen in verschiedenen Phasen der Grunderkrankung kommen. Dabei handelt es sich nicht um eine Erkrankung der Lunge, sondern um eine behandelbare Störung der Atemmuskelfunktion.

Die mangelhafte, mechanische Belüftung der Lunge bringt eine erhöhte Gefahr für Infektionen der Atemwege und der Lunge mit sich, die wiederum die Atemfunktion sekundär beeinträchtigen können. Schluckstörungen können zusätzlich zu einer vorhandenen Atemstörung, aber auch unabhängig davon auftreten und zu einer erhöhten Gefahr des Verschluckens (Aspiration) führen. Bei Zusammentreffen von Schluckstörung und gemindertem Hustenstoß besteht die Gefahr eines akuten Erstickungsnotfalls durch Verschlucken.

Entstehung der Atemschwäche

Die wesentlichen Muskeln für die Atmung sind:

  • das Zwerchfell
  • die Zwischenrippenmuskeln
  • die Bauchmuskulatur
  • die Muskulatur des Schultergürtels und des Halses (Atemhilfsmuskulatur).

Die Ruheatmung wird vor allem vom Zwerchfell geleistet. Für jede verstärkte Atemtätigkeit werden die anderen Muskelgruppen gebraucht (z.B. beim Husten). Ein negativer Einfluss auf die Atmung kann zusätzlich durch eine Verkrümmung des Rückgrats (Skoliose) oder durch eine sekundäre Herzmuskelschwäche (Kardiomyopathie) entstehen (z.B. bei den Muskeldystrophien Typ Duchenne und Becker).

Restriktive Atemstörungen treten auf im Zusammenhang mit:

  • Erkrankungen der Vorderhornzellen (u.a. spinale Muskelatrophien, ALS, Postpoliosyndrom)
  • Erkrankungen der peripheren Nerven (Guillain-Barré-Syndrom, Polyneuropathien)
  • Störungen der neuromuskulären Übertragung (Myasthenia gravis, Lambert-Eaton-Myasthenisches Syndrom)
  • Muskelerkrankungen (Muskeldystrophien, kongenitale Myopathien, Glykogenosen).

Neben den durch die Muskelschwäche bedingten Atemstörungen können auch schlafbezogene Atemstörungen vorhanden sein, selbst wenn am Tag die Lungenfunktion noch völlig ausreichend ist. Schlafbezogene Atemstörungen gehen mit nächtlichen Atempausen einher, die zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut führen und durch wiederholende kurze Aufweckreaktionen eine erhebliche Störung der Schlafqualität bedingen. Ein erholsamer Schlaf ist nicht mehr gewährleistet, selbst wenn formal ausreichend lange geschlafen wird. Langfristig  führen schlafbezogene Atemstörungen außerdem nicht selten zu einer Belastung der rechten Herzkammer.

Diagnostik

Die wesentlichen Untersuchungen umfassen die Lungenfunktionsprüfung, die Blutgasanalyse und gegebenenfalls die Untersuchung des Nachtschlafes im Schlaflabor (Polysomnographie). Mit der Lungenfunktionsprüfung werden u.a. die Lungenvolumina untersucht. Diese können durch eine Muskelschwäche reduziert sein. Zusätzlich kann an spezialisierten Zentren auch die Atemmuskelkraft gemessen werden. Mit einer Blutgasanalyse wird untersucht, ob der Körper ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann und ob ausreichend verbrauchte Luft (Kohlendioxid) abgeatmet werden kann.

 

Atemtherapie

Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen profitieren von physiotherapeutischen Behandlungskonzepten auf neurophysiologischer Grundlage und sollten möglichst Therapeuten aufsuchen, die auf dem Gebiet der Neurologie qualifiziert und erfahren sind. Ziel der Atemtherapie ist es, mittels Schulung der Atemwahrnehmung die Überforderung der Atemmuskulatur zu senken und die geschwächte Muskulatur zu stimulieren. Je nach Ausprägung der Atemstörung kommen unterschiedliche physiotherapeutische Maßnahmen zur Anwendung. Atemübungen (z.B. Atmen gegen Widerstand, Gähnen, langsames Ausatmen), passive Dehnungen, die Vermittlung atemerleichternder Körperhaltungen im Alltag und die Erhaltung der Beweglichkeit des Brustkorbs mittels Brustkorb- und Rippenmobilisationen wirken atemunterstützend. Sekretmobilisation durch passive Maßnahmen (z.B. Klopfungen, Vibrationen) und die Vermittlung effektiver Hustentechniken sind ebenfalls Inhalte der Atemtherapie. Sie werden bei Bedarf ergänzt durch maschinelle Sekretabsaugung und apparative Hustenunterstützung. Eine erhebliche Schwäche der Atemmuskulatur kann durch maschinelle Langzeitbeatmung in häuslicher Umgebung behandelt werden.

In diesem Video sehen Sie, dass Atemphysiotherapie durchaus Spaß machen kann.

Außerklinische Beatmung

Von außerklinischer Beatmung spricht man bei einer vorübergehenden oder dauerhaften Anwendung mechanischer Atemhilfen unter häuslichen Bedingungen oder in Pflegeeinrichtungen. Die Beatmung erfolgt mittels der umgebenden Raumluft; der zusätzliche Einsatz von Sauerstoff ist nur in bestimmten Fällen erforderlich.

In der Regel werden heute mechanische Atemhilfen eingesetzt, sog. Überdruckbeatmungsgeräte,  wobei die Beatmung nicht-invasiv (z.B. Nasen-, Mundmaske oder Mundstück) oder invasiv über einen Luftröhrenschnitt (Tracheostoma) erfolgen kann.

Mensch mit Beatmung im Kreis seiner Lieben
Lebensfreude und Beatmung schließen sich nicht aus

Indikationsstellung

Die Indikation zur Beatmung wird in einer Klinik (Beatmungszentrum) mit entsprechenden technischen Möglichkeiten gestellt. Neben der subjektiven Symptomatik sind objektive medizinische Befunde wie Lungenfunktion und Blutgaswerte zu berücksichtigen. Die Indikationsstellung erfolgt in Deutschland anhand von Kriterien, die im Rahmen einer Leitlinie von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) e.V. unter Beteiligung anderer betroffener Fachgesellschaften, insbesondere der Deutschen Interdisziplinären Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V. im Jahre 2009 publiziert worden ist. Eine umfängliche Revision dieser Leitlinie erfolgte 2017.

Außerklinische Beatmung ist dann indiziert, wenn ein Betroffener an folgenden Symptomen leidet und/oder folgende Befunde vorweist:

  • deutlich verringerte Vitalkapazität, gemessen bei der Lungenfunktionsprüfung
  • nächtliche Schlafstörungen (Alpträume, häufiges Erwachen in den Tiefschlafphasen, Einschlafstörungen)
  • morgendliche Kopfschmerzen
  • Herzrasen
  • verstärkte Tagesmüdigkeit
  • Depressionen
  • Kurzatmigkeit
  • vermehrte Infekte
  • vermehrte, anhaltende Bronchialverschleimung
  • Wassereinlagerungen im Körper (Ödeme).

Weiterführende Infos

Im Download finden Sie Hinweise zu den Zielen der außerklinischen Beatmung, zur Aufklärung von Betroffenen und ihrem Umfeld.

Beatmungszentren

Die Indikationsstellung der Beatmung sollte unbedingt in einem qualifizierten Beatmungszentrum erfolgen, das Erfahrungen bei der Behandlung neuromuskulärer Erkrankungen hat. Ziel dieser Zentren ist es, dem beatmungspflichtigen Menschen ein selbstbestimmtes Leben im Umfeld seiner Wahl zu ermöglichen und so seine Lebensqualität zu verbessern oder zu erhalten. Sie verfügen jeweils über ein multidisziplinäres Team, bestehend aus Fachärzten, Fachpflegekräften, Sozialarbeitenden, Therapeuten und sind vernetzt mit außerklinischen Pflegediensten, Geräteprovidern und Leistungsträgern.

Zu den wesentlichen Aufgaben eines Beatmungszentrums gehören die:

  • Beurteilung und Anpassung des Beatmungsbedarfes
  • Umfassende Beratung der Patienten und ggf. ihrer Angehörigen
  • Diagnostik und Therapie von Begleitproblematiken, die während der Beatmung auftreten  können (z.B. Sprechen, Husten, Sekretmanagement, Ernährung, Mobilisation)
  • Planung der außerklinischen Versorgung (Pflege, Ernährung, Hilfsmittel, Kostenübernahme)
  • Technische Ausstattung der Beatmung inkl. Zubehör
  • Psychosoziale Betreuung der Patienten und ggf. ihrer Angehörigen
  • Langfristige Begleitung außerklinisch beatmeter Patienten.

Im nachfolgenden Download finden Sie geeignete Einrichtungen für Erwachsene sowie für Kinder und Jugendliche:

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